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fällt, ist durch keine merkwürdige Begebenheit, die ihn unmittelbar anging, ausgezeichnet; der ruhige und stille Gang desselben ist fast nur durch zwei Reisen in die Schweiz (1815 und 1825) und öftere, eine Reihe von Jahren hindurch ziemlich regelmässig wiederholte Reisen nach Karlsbad, die meistens zu Pferde unternommen wurden, unterbrochen. Seine Zeit gehörte ihrem bei weitem grössten Theile nach der wissenschaftlichen Arbeit; trotz seines feurigen Temperaments hatte er einen ausdauernden Fleiss, der um so mehr zu bewundern ist, da er sich durch mehr mechanische Arbeiten nur sehr ausnahmsweise abspannte, vielmehr immer die volle Thätigkeit seines Geistes angestrengt erhielt. Es war stehende Gewohnheit für ihn geworden, bis Mitternacht zu arbeiten, und wenn geselliger Verkehr die Zeit verkürzte, so pflegte er um so tiefer in die Nacht hinein zu arbeiten, und es kam wohl vor, dass er gar nicht zu Bett ging, ohne am andern Morgen ermüdet oder abgespannt zu sein. Er hatte aber die höchst glückliche Eigenschaft, dass er die Arbeit nach Belieben abbrechen und sogleich Schlaf finden konnte, den dagegen gemüthliche Aufregung ihm ganz störte, so dass er Abends keinen Brief las oder schrieb. Desto mehr schrieb er deren bei Tage, denn er hatte es sich zum Gesetz gemacht, jeden Brief sofort zu beantworten, und er führte einen sehr ausgedehnten Briefwechsel. Diese Frische verdankte er zu grossem Theil der regelmässigen und lebhaften Bewegung, welche er sich durch Reiten und Gehen machte. Ausserdem fand er Zerstreuung nur im geselligen Verkehr mit Freunden und im häuslichen Zusammenleben mit seiner Familie, an derer mit der vollen Liebe seines warmen Herzens hing.

Am 29 Sept. 1803 feierte er seine Hochzeit mit Wilhelmine Schwägrichen, der Tochter eines hiesigen Kaufmanns von strenger, ehrenfester Gesinnung. Ihr stilles ruhiges Wesen, das seine aufbrausende Lebendigkeit und Heftigkeit müssigte, ihre Einfachheit und vollkommne Anspruchslosigkeit konnte sie dem flüchtigeren Beobachter weniger bedeutend erscheinen lassen, als sie in der That war; den wohlthuenden Eindruck reiner Herzensgüte und Milde musste sie auch auf diesen machen. Sie war von tiefem Gemüth, das sich nicht leicht aufschloss, von unbestechlich klarem Gefühl für Sittlichkeit, das in jedem Zuge ihres stets gleichen Wesens, selbst in ihrer ungemein festen und zierlichen Handschrift sich aussprach. Bei einer gewissen Scheu vor Fremden und vor äusserem Auftreten fand sie ihre Befriedigung in stiller, geräuschloser

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Otto Jahn: Gottfried Hermann: Eine Gedächtnissrede. Leipzig: Weidmannsche Buchhandlung, 1849, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Gottfried_Hermann_28.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)