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verband mit diesen Eigenschaften der Französin die echt deutschen eines tief warmen Gemüthes, strenger Sittlichkeit, und eines festen, unbeugsamen Willens. Sie war es, welche auf die Erziehung des Sohnes, der in allen Grundzügen seines Wesens ihr so ähnlich war, wie er auch in seinem Aeussern ihr glich, den entschiedensten Einfluss übte. Der Knabe war so schwach geboren, dass man Anfangs an seiner Erhaltung zweifelte, und entwickelte sich bei zarter Gesundheit nur langsam, so dass er erst mit zwei Jahren gehen und sprechen konnte, und zwar eher französisch als deutsch; später hatte er eine bestimmte Abneigung gegen die französische Sprache.

Bald offenbarte sich das feurige Temperament des Knaben in sprudelnder Lebendigkeit wie in Heftigkeit und Trotz, denen auch die strenge Zucht der nicht minder heftigen Mutter nicht gewachsen war, und sein erster Lehrer Ritter, ein gescheiter aber höchst wunderlicher und grillenhafter Mann, verstand weder ihn zu bändigen noch die Lust am Lernen in ihm zu wecken. Er mochte von den Büchern nichts wissen, tummelte sich in wilden Knabenspielen herum, und war fest entschlossen Soldat zu werden, womit denn freilich seine Eltern keineswegs einverstanden waren. So war er zwölf Jahr alt geworden, als er dem Manne anvertraut wurde, der, wie Hermann stets mit herzlicher Dankbarkeit aussprach, ihn zu zügeln und zu gewinnen verstand, und ihn auf den Weg leitete, welchen er nicht wieder verlassen hat. Karl David Ilgen war ein Mann von kräftigem, gewaltigem Charakter, der in einer harten Schule der Entbehrung und Anstrengung gestählt war, von festem Willen, den er mit Bestimmtheit aussprach und mit unerbittlicher Strenge durchsetzte; seine hohe Gestalt und seine bedeutenden Gesichtszüge, die starktönende Stimme, das ernste, bestimmte Wesen – Alles trug dazu bei ihm Ansehen und Respect zu verschaffen. Unbedingten Gehorsam und angestrengte Arbeit verlangte er von dem Knaben, der weder sich zu fügen geneigt war, noch bei den Büchern sitzen mochte; allein nach einigen vergeblichen Versuchen sich den lästigen Anforderungen zu entziehen, erkannte dieser, dass er seinen Meister gefunden habe, und alsbald gab er sich nun dem Lehrer ganz hin. Ilgens strenge Gerechtigkeit und echte Gutmüthigkeit, die unbefangne Heiterkeit und harmlose Theilnahme an dem kindlichen Sinne, welche unter seinem Ernst verborgen war, gewannen ihm rasch das Vertrauen und die Liebe seines Schülers. Nicht minder verstand er es, die ganze

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Otto Jahn: Gottfried Hermann: Eine Gedächtnissrede. Leipzig: Weidmannsche Buchhandlung, 1849, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahn_Gottfried_Hermann_04.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)