Seite:Ist Radfahren gesund?.pdf/2

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Dr. med. Friedrich Dornblüth: Ist Radfahren gesund?

Ist Radfahren gesund?
Von Dr. med. Fr. Dornblüth.
(Nachdruck verboten.)

Als gegen Ende des vorigen Jahrzehnts das Radfahren anfing, in Deutschland mehr Anhänger zu finden, sah man von ärztlicher Seite darin vorzugsweise eine neue Art Körperübung, die durch Muskelkräftigung, verstärktes Atmen und ganz besonders durch die Bewegung in freier Luft und Ablenkung von gewohnter und oft übermäßig gesteigerter Kopfarbeit ihren Jüngern mancherlei gesundheitlichen Nutzen gewähren könne.

Durch zweckmäßigere und besonders auch billigere Herstellung der Fahrräder ist das Radfahren inzwischen aus einer Art Sport, der früher nur von wenigen Wohlhabenderen getrieben werden konnte, ein allgemeines Bewegungsmittel für jung und alt, für Mann und Weib geworden, das nicht bloß für Luft und Gesundheit, sondern auch für Geschäfts- und Berufszwecke eine große und immer noch steigende Bedeutung gewonnen hat.

Während in den früheren Jahren sich des Zweirads fast nur junge Männer bedienten, die durch körperliche Kräfte und Gewandtheit dazu vorgebildet waren und deshalb auch besträchtliche Anstrengungen nicht nur ohne Schaden, sondern mit Nutzen für ihren Gesundheit und Leistungsfähigkeit überwinden konnten, radelt jetzt alles – Junge und Alte, Schwache und Rüstige, Männlein und Weiblein, Dicke und Dünne. Es ist daher kein Wunder, daß man auch allmählich Gefahren kennen gelernt hat, die früher nicht zu Tage traten. Bei übertriebenem Sport und wenn das Radfahren von weniger kräftigen und vorgebildeten Personen betrieben wird, kann es der Gesundheit verschiedene, teilweise recht ernste Gefahren bringen. Die medizinische Litteratur und eingehende Verhandlungen ärztlicher Vereine legen davon Zeugnis ab. Anderseits aber hat man gesundheitliche Vorteile gefunden, an die man in den Anfangszeiten des Radfahrens gar nicht gedacht hat. Wenn zum Beispiel noch vor wenig Jahren als Hauptvorzug des Radfahrens hervorgehoben werden konnte, daß allerlei schädliche Folgen des Stubensitzens und mangelnder Körperbewegung, wie übermäßiger Fettansatz und gestörte Unterleibsfunktionen, durch Uebung des Radfahrens auf die leichteste und angenehmste Art ausgeglichen werden könnten, so weiß man heute, wie unter anderen Professor H. Buchner in der Allgemeinen Versammmlung deutscher Naturforscher und Aerzte (Frankfurt a. M. 1896) aussprechen konnte, daß der zweckmäßigen Steigerung der Muskelthätigkeit mit ihrem Einfluß auf Atmung und Blutbewegung auch noch die Stärkung der allgemeinen Widerstandskraft gegen krankmachende Einflüsse verschiedenster Art zukommt.

Die gesteigerte Muskelthätigkeit erheischt mehr Zufuhr von Sauerstoff, der in den Lungen aufgenommen und durch das Blut den Muskeln zugeführt wird, wo seine Verbindung von Kohlenstoff und Sauerstoff zu Kohlensäure und Wasser eben die bewegenden Kräfte erzeugt. Kohlensäure und Wasser werden wiederum, erstere hauptsächlich durch die Lungen, letzteres vorzugeweise durch die Haut, aus dem Körper ausgeschieden. Um den arbeitetenden Muskeln mehr von jenen Brennstoffen zuzuführen und sie gleichzeitig von den mehr erzeugten Verbrennungsstoffen zu befreien, muß das Blut in breiterem und schnellerem Strome durch die sich erweiternden Adern der Muskeln sowohl, als auch der Lungen hindurchströmen, während letztere gleichzeitig mehr und rascher gewechselte Luft darzubieten haben. Beides geschieht unabsichtlich und unbewußt durch stärkere Erregung der beteiligten Nerven in unmittelbarer Folge der stärkeren Muskelthätigkeit, und beiden kann in gewissem Grade durch schnellere Herz- und Atembewegungen geschehen. Doch nur in gewissem Grade, weil die betreffenden Organe dabei sehr stark angestrengt werden und dadurch bald die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht wird, die ohne Schaden nicht überschritten werden darf.

Wie bei anderen Körperanstrengungen, namentlich beim Laufen, kann und soll auch beim Radfahren das Luftbedürfnis leichter und ausdauernder auf andere Art befriedigt werden, nämlich durch tiefere und längere Atemzüge. Diese schaffen mehr Luft in die Lungen und bewirken mit verhältnismäßig geringerer Anstrengung einen weit größeren Luftwechsel; zugleich erleichtern sie neben der stärkeren Entfaltung der ganzen Lunge das Durchströmen des Blutes, so daß auch das Herz durch ausgiebigere Bewegungen und ebenfalls verhältnismäßig geringeren Anstrengungen größere Blutmengen bewegen und dadurch den Blutstrom erweitern und beschleunigen kann.

Kurzatmigkeit und Herzklopfen zeigen bei körperlichen Anstrengungen in jedem Falle an, daß die Grenzen der Leistungsfähigkeit erreicht oder sogar überschritten sind, und stellen sich

Empfohlene Zitierweise:
Dr. med. Friedrich Dornblüth: Ist Radfahren gesund?. Leipzig : Keil, Leipzig 1897, Seite II. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ist_Radfahren_gesund%3F.pdf/2&oldid=- (Version vom 9.3.2019)