Seite:Illustrirter Deutscher Jugendschatz 66.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Knurren wie unterirdischer Donner, mächtig rauscht das Schilf auseinander und der gelbe schwarzgestreifte Tiger sitzt dem unschuldigen Thier an der Kehle, von der Wucht des Sprunges niedergerissen sinken Beide nieder.

Platt an den Kopf gedrückt sind die Ohren der großen, blutgierigen Katze, ihr glänzendes Rückenhaar sträubt sich hoch empor, die grünen Augen funkeln vor brennender Begier nach dem warmen, rothen Blut, und mit mächtigen Schlägen peitscht der kraftvolle geringelte Schweif die fliegenden Weichen. Mit langen Sätzen eilt der Räuber mit der Beute im Rachen seinem Waldversteck zu, wo die hungrigen Jungen seiner warten. Wieder wird es still an dem Bergsee, der kurze Morgenwind hat sich gelegt, nur die Sonne, die allmählich heißer wird, trinkt die letzten Thautropfen von den Gräsern. Bunte Schmetterlinge wiegen sich auf den großen, farbenprächtigen Blumen, sie saugen Duft und Nahrung aus den gastlichen Kelchen. Drinnen im Walde jagt sich eine Schaar munterer Affen, sie führen in den verworrenen Schlinggewächsen ihre tollsten, possirlichen Sprünge aus. Irgend etwas reizt die Neugier der geschickten Vierhänder, in wirrem Durcheinander fliehen sie, noch lange hört man ihr Gekreisch. —

Wie ist der Urwald wild und doch so wunderbar, so mächtig ergreifend und doch wieder so zart besänftigend! Wie nichtig und klein ist der Mensch mit seinem vergänglichen Tand, seiner verzehrenden Selbstsucht, die nimmer rastet, nimmer Ruhe findet, gegen die Urgewalten der Natur, die mit ungezügelter Schöpfungskraft, aber mit stolzer Ruhe sich ewig und ewig neu verjüngt, die mit ihren Riesenwerken uns Staunen und Ehrfurcht abzwingt. Dort, jener tausendjährige Stamm, den der Orkan entwurzelte, er schien für die Ewigkeit gewachsen, aber er mußte Raum schaffen für frisches, sprossendes Leben, sein vergehender Leichnam spendet dem Nachwuchs Nahrung, aus dem abgestorbenen, unnützen Riesen keimen jung und blühend sprießende Triebe. Und auch sie werden wachsen und erstarken wie alle ihre Nachbarn und sie werden wieder verschwinden, um neuem, warm pulsirendem Leben Platz zu machen.

Wohin wir blicken, sehen wir unerschöpflichen Reichthum, überschäumende Fülle. Die Natur ist gütig und freigebig wie eine wahre Mutter. Unter dem schützenden Blätterdach wächst die würzige Ananas, die dem unmäßigen Europäer so häufig Krankheit und Tod bringt. Der Bananenbaum neigt seinen fruchtbeladenen Gipfel, kaum vermag er die Last zu tragen. Hoch oben an den schlanken Palmen hängen die grünen Kokosnüsse, ungezählt — hier sind sie im Entstehen begriffen, dort sind sie

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Ein Tag auf Mitten-Java. Verlag von E. Thiele, Leipzig 1887, Seite 66. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirter_Deutscher_Jugendschatz_66.jpg&oldid=- (Version vom 27.12.2019)