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Illustrirte Zeitung, Nr. 6 vom 5. August 1843

vom Ritter Dr. Bräunlich 100 Thlr. zu Prämien für arme Schüler, und von der Universität Jena für den Rector Baumgarten-Crusius das Diplom eines Doctors, für den Prof. Flügel das eines Licentiaten der Theologie überbracht wurde. Ueberaus zahlreich waren insbesondere die Schriften, die von alten Afranern und von den gegenwärtigen Lehrern dem Jubelfest gewidmet worden waren.

Gegen 3 Uhr des Nachmittags zogen die jetzt in Leipzig studirenden ehemaligen Afraner, in Begleitung vieler andrer alten Afraner und im Gefolge der gegenwärtigen Schüler, umringt von einer zahllosen Menschenmenge zu Wagen und zu Fuß, unter klingendem Spiel nach dem Buschbade bei Meißen. In der Nähe dieses Bades befindet sich der sogenannte Götterfelsen, auf welchem am Morgen desselben Tages auf Veranstaltung der Studirenden ein kolossales, gußeisernes Kreuz errichtet worden war. Dieser Fels wurde zur Errichtung des Kreuzes gewählt, weil seit vielen Jahren bei Gelegenheit des Afranischen Schulfestes am frühesten Morgen dahin gezogen wird, um beim Aufgang der Sonne ein Morgengebet zu halten. Die auf dem Postament des über 20 Centner wiegenden Kreuzes in vier Feldern angebrachten lateinischen Inschriften sind in deutscher Uebersetzung folgende:

„Zum Andenken an die vor 300 Jahren eröffnete berühmte Afraschule errichteten die in Leipzig studirenden ehemaligen Afraner zur Zierde eines durch feierliche Gebete geweihten Ortes ein Kreuz.“ „Am dritten Juli 1843.“ „Frömmigkeit ist der Quell der Freude.“ „Auf der Höhe dem Höchsten.“

Zur Einweihung dieses Kreuzes wurden die auf dem Buschbad anwesenden Lehrer und Zöglinge der Anstalt durch zwei Abgeordnete der Studirenden eingeladen; trotz der Ungunst der Witterung und des schlüpfrigen Wegs war die Zahl der unter bunten Dächern von Regenschirmen an einander gedrängten Theilnehmer außerordentlich groß. Die Weihe begann mit dem Gesang eines vom Stud. theol. Rüling gedichteten Liedes, worauf Stud. jur. Roux aus Bautzen mit angemessener Rede das Kreuz der Anstalt übergab und nach abermaligem Gesang der Bacc. medic. Kersting ein von ihm verfaßtes Gedicht sprach, aus dem wir folgende Stelle entlehnen:

Du heil’ge Afra, die des Geistes Augen
Durch’s Morgenroth der Alten vorbereitet,
Daß sie die Sonne zu ertragen taugen,
Die siegreich jetzt durch Wahn und Dunkel schreitet,
Du hast gelehrt, des Wissens Schatz zu brauchen
Zum höchsten Schmuck, der Sterbliche bekleidet,
Zum heil’gen Kreuz, das, wenn’s auf Erden dunkelt,
Dem frommen Blick am Sternenhimmel funkelt.

Zur Erwiederung sprach der Rector, deutete hin auf die Gemüthserhebung, welche die Zöglinge Afra’s so oft schon auf der Höhe des Götterfelsens erfahren, auf den Segen der Erinnerung, welcher sie begleite, auf das Sinnbildliche des Glaubens, welches das Kreuz uns darstelle. Er rühmte die erhebende Gesinnung der für St. Afra begeisterten Geber, und warnte vor der frevelnden Hand, die es wagen könnte, sich an diesem Zeichen des Trostes und der Hoffnung zu vergreifen. Mächtig war der Eindruck, welchen diese Feier der Kreuzesweihe hervorbrachte. Während der Himmel in starkem Regen sich ergoß, weihten dankbare Zöglinge von St. Afra den Erguß ihrer Herzen und das fromme Denkmal ihrer Gesinnung der umringenden Schar von Lehrern und Schülern!

Die letzte erhebende Feier des Tages fand auf dem Gottesacker der Afrakirche statt. Hier wurde die Erinnerung an heimgegangene und auf diesem Friedhof begrabene Lehrer durch Pastor Uhlmann aus Freiberg gefeiert.

Am frühen Morgen des 3. Juli, des eigentlichen Schulfesttages, zogen die gegenwärtigen Schüler unter Musikbegleitung durch die Stadt auf den Götterfelsen hinaus, um dort in gewohnter Weise ihre Morgenandacht zu verrichten. Der Himmel schien sich aufheitern zu wollen, so daß auf der Höhe des Götterfelsens das Kreuz im langersehnten Strahl der Morgensonne glänzte. Die Schüler traten in einen Kreis und sangen ein vom Prof. Kraner gedichtetes Lied:

Wie heilig ist’s, o Herr,
Im Geist vor dich zu treten!
Frohlockend stehen wir,
Dich dankend anzubeten;
In deines Tempels Pracht,
Auf heil’gen Bergeshöh’n
Soll unsres Liedes Klang
Lobsingend dich erhöh’n.

Nach 8 Uhr kehrte der Coetus wieder in die Stadt zurück, wo indessen die Zahl der Festbesucher mächtig angewachsen war. Eine große Schar alter Afraner war mit dem Dampfschiff von Dresden angekommen, und noch vor 9 Uhr versammelten sich in den Räumen der Anstalt alle Theilnehmer zum festlichen Zug in die Afrakirche. Voran ging ein Musikcorps, welches einen vom Musikdirector Anacker in Freiberg componirten Parademarsch spielte, darauf folgten die gegenwärtigen Schüler der Anstalt, die Lehrer derselben, die alten Afraner, die ehemaligen Lehrer der Anstalt, die städtischen Behörden, die Comité-Mitglieder, die Deputationen, die Landesbehörden, der Staatsminister. Den Gottesdienst, bei dem vom Singchor der Schule das Hallelujah aus dem „Messias“ von Händel aufgeführt wurde, hatte der Religionslehrer der Anstalt, Oberlehrer Schlurick, geordnet, auch besondere Lieder dazu gedichtet, und machte durch seine Festpredigt: die Verklärung unserer Festfreude durch fromme Erhebung, tiefen Eindruck auf die Gemüther, da sie nach Form und Inhalt der Feier den ächten Charakter religiöser Erhebung gab. Nach diesem Gottesdienst ging der Zug in die Anstalt zurück, wo im geschmackvoll decorirten Festsaal derselben ein Redeact gehalten wurde. Zuerst erhob sich Staatsminister von Wietersheim, als oberster Vorstand der Schule. In einem zur Bewunderung hinreißenden Flusse der Beredsamkeit sprach derselbe über die geistigen Bestrebungen im 16. u. 19. Jahrhundert, zog die interessantesten Parallelen zwischen diesen Zeiten, deren Gepräge vor seiner lichtvollen und kernhaften Darstellung in scharfen Umrissen hervortrat. Er entwickelte, wie die Bewegung im 16. Jahrhundert innerhalb des kirchlich-religiösen Lebens beschlossen gewesen und die Richtung der Gegenwart auf das politische gehe; wie damals der Glaube, so dränge sich jetzt das Wissen hervor. Aber weder dem Glauben noch dem Wissen allein gebühre der Vorrang; in seiner Vereinzelung führe beides auf Abwege, bezeichnet einerseits durch Schwärmerei, andererseits durch Vergötterung des Selbstbewußtseins. Darum nehme an dem Glauben die Vernunft und am Wissen das Herz seinen Antheil, „daß beides zu einer geweihten Flamme ausschlage, die lichtverbreitend und wärmespendend die Bestrebungen des nach Wahrheit ringenden Geistes segne.“ Nach einem ergreifenden Schlußwort an die Afranische Jugend traten fünf Schüler auf, die durch ihre Vorträge ein würdiges Zeugniß von dem wissenschaftlichen Charakter der Anstalt ablegten. Den Actus beschloß die öffentliche Nennung derjenigen Schüler, welche bei dem Fest oder der letztvorausgegangenen Prüfung durch Prämien ausgezeichnet worden waren, und leitete der Rector diese Feierlichkeit mit einer lateinischen Rede ein, worin er des ächten und wahren Ruhmes gedachte, dessen die Anstalt sich freuen müsse und auf den allein sie Werth legen könne, das sei der Ruhm, durch gründliche classische Bildung zu ächter Humanität zu führen. Dankend nannte derselbe die Namen der Churfürsten Moritz und August, deren Bildnisse durch die Kunst neu hergestellt im Festsaale prangten, die Namen des Rivius und Fabricius, welche, verdient um den ersten wissenschaftlichen Ruhm der Anstalt, bei dem Feste durch eiserne Gedenktafeln in Goldschrift geehrt wurden, die Namen des frommen Liederdichters Paul Flemming’s, der als Zögling von St. Afra bisher noch weniger bekannt war, Fürchtegott Gellert’s, dessen Bildniß schon seit mehren Jahren den Festsaal der Anstalt schmückt, ferner Ephraim Lessing’s, dessen Gemälde durch das Hohe Ministerium zur dritten Säcularfeier der Schule verehrt worden war. Nach diesem lateinischen Vortrage theilte der Rector ein überaus huldvolles Handschreiben des allverehrten Königs Friedrich August mit, das wir hier vollständig wiedergeben:

„Die Wiederkehr des Tages, an welchem einer Meiner Vorfahren vor dreihundert Jahren die Landesschule zu Meißen gründete, giebt Mir Veranlassung, Ihnen, Mein Herr Rector und Ihren Collegen, Meine aufrichtige Theilnahme an der Feier eines Ereignisses auszudrücken, das zur Erhaltung und Förderung der wissenschaftlichen, vor Allem der classischen Bildung im sächsischen Volke und zur Begründung seines wohlverdienten Ruhmes in dieser Hinsicht so wesentlich beigetragen hat.

Gern verbinde Ich damit die Versicherung Meiner Zufriedenheit mit dem dermaligen günstigen Zustande der Ihrer Pflege anvertrauten Anstalt und des Vertrauens, daß solche in wissenschaftlicher und religiöser Hinsicht ihrem hohen Berufe immer mehr entsprechen werde, indem Ich Ihnen in landesväterlicher Huld aufrichtig beigethan bleibe.“

     Pillnitz, den 1. Juli 1843.

Friedrich August 

An den Rector Baumgarten-Crusius zu Meißen.

An diese Vorlesung knüpfte sich die Verleihung des Civilverdienstordens an den Rector, eine Auszeichnung, welche gleichsehr den verdienten Empfänger, wie die seiner Obhut vertraute Anstalt ehrt. Es war gegen 2 Uhr, als die Festversammlung sich trennte. Die Schüler wurden darauf nach einem von ihnen selbst in Vorschlag gebrachten Tischzettel gespeist; der Minister von Wietersheim gab ein Ehrenmahl auf dem Buschbade, zu welchem, außer den Deputirten der Schulen, den Lehrern der Anstalt, den Mitgliedern des Festcomités, der Meißner Geistlichkeit und des Stadtraths, auch die Präsidenten beider Kammern nebst dem Directorium derselben, Consistorialpräsident von Weber, Vicepräsident von Ammon, und die Geheimen Räthe des Cultusministeriums sich zusammen fanden. Es war ein Mahl voll des geistigsten Genusses; ein Toast folgte dem andern, und alle waren der Religion und Wissenschaft und ihren Vertretern in Schule und Kirche geweiht.

Während dieses Mahles vergnügten sich die Schüler durch Vogelschießen und Tanz. Am Abend war die Stadt, die während der ganzen Festzeit mit Blumen und Laubgewinden, Kränzen und Fahnen reichlich geschmückt war, auf eine die herzlichste Theilnahme an der Bedeutung des Festes bekundende Weise bis in die abgelegensten Räume illuminirt. Am glänzendsten traten die Schule selbst und das Rathhaus hervor. Am Rathhaus erschien als Jungfrau St. Afra; am Rande des Gemäldes prangten die Namen der Churfürsten Moritz und August, ferner des Rivius und Vulpius als ersten Rectors und des Fabricius als des zweiten, und diesen gegenüber die Namen Gellert, Rabener, Lessing. Zu beiden Seiten des Hauptgemäldes befanden sich das sächsische und das Meißener städtische Wappen. An der Schule war der Verein der Religion und Wissenschaft in zwei allegorischen weiblichen Gestalten, welche, den Blick gegen einander gerichtet, die abwärts geneigte Hand sich gaben und mit entsprechenden Attributen versehen waren, auf ebenso sinnvolle als künstlerisch vollendete Weise dargestellt. Neben dem Hauptgemälde befanden sich zu beiden Seiten zwei andre Transparents, welche in Chronostichen die Jahreszahlen 1543 und 1843 ausdrückten. Das erstere hieß:

                         1543.
Aus eurer Finsterniß, ihr Klostermauern,
Quillt jetzt ein herrlich Licht für’s Volk hervor.

das zweite:

                         1843.
Und jubelnd rufet heut’ der Enkel Chor:
Des Lichtes Quell soll, Afra, ewig dauern.

Außerdem befand sich ein Transparent über dem obengenannten Portal, welches die Inschrift des Thores trug:

Mauritii pietas Augustique inclyta virtus
Hanc Christo et studiis constituere scholam.

(Der fromme Sinn des Churfürsten Moritz und die hohe Vortrefflichkeit August’s gründeten diese Schule für Gottesfurcht und Wissenschaft.)

Gegen 12 Uhr des Nachts zogen die Schüler in ihre Anstalt wieder ein, brachten dem Rector und dem Lehrercollegium ein Lebehoch und schlossen des Tages Feier mit dem Gesang des Liedes: Nun danket alle Gott.

Der dritte Festtag war zunächst den alten Afranern gewidmet. Sie versammelten sich gegen 9 Uhr auf dem Schulhofe, wo zu dankbarer Erinnerung an die dritte Säcularfeier und zum Gedächtniß für die Nachkommen eine Linde gesetzt wurde. Nachdem die Versammelten in einen weiten Kreis getreten waren, hielt Prof. Diller die Weihrede, die er mit den Worten schloß: „So steige denn nieder in den Schooß der mütterlichen Erde, aus welcher du entnommen bist, umfasse sie mit kräftigem Arm, gebunden von ihr und wiederum sie bindend. Steige empor in das Reich der Luft und des Lichts, in das Reich der Freiheit. Sammle dereinst unter deine Schatten die Scharen treuer Enkel, daß sie deines grünen Daches sich freuen und mit einem Herzen voll inniger Empfindung der Liebe gedenken, die uns hier von fern und nah zusammenrief, der Liebe, die, einst in St. Afra erblüht, jetzt ihre reife Frucht der treuen Mutter bringt. Es stehe der Baum als ein unverletzliches Heiligthum Allen, die Afra als die Seinen erkannt, Allen, die es einst noch als die Seinen erkennen wird!“ Darauf sprach Dr. Ewald Dietrich, durch dessen Fürsorge der gesetzte Baum aus Moritzburg herbeigekommen war. Nach kurzem Gesang begab sich die Versammlung in den Festsaal der Anstalt. Hier trug Prof. Kreyssig unter lauten Acclamationen der Anwesenden eine lateinische Ode vor, darauf beantwortete Dr. Böttcher aus Dresden in humoristischer Weise die von ihm vorgelegte Frage: „Wie sieht Afra ihre Kinder wieder?“ Dieser Vortrag war reich an schlagendem Witz und erweckte die lebhafteste Zustimmung. Bei Nennung derjenigen Afranen, die in neuester Zeit einen großen Namen sich erworben, gedachte der Redner besonders auch des Begründers der Homöopathie, Dr. Hahnemann, der, in Meißen geboren, in den Jahren 1774 bis 1780 durch Lehrer der Fürstenschule sich bildete, und nur zwei Tage früher, 88 Jahre alt und noch jugendlich frisch, in Paris verstorben war. Nach Dr. Böttcher feierte

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: Illustrirte Zeitung, Nr. 6 vom 5. August 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 91. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_06.pdf/11&oldid=- (Version vom 12.5.2023)