Seite:Illustrirte Zeitung 1843 06.pdf/10

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Illustrirte Zeitung, Nr. 6 vom 5. August 1843

Festgabe
der Frauen von St. Afra.

Festgabe
der Frauen von St. Afra.

Leben sich ihm verpflichtet fühlte. Außerdem fördert diese Einrichtung des Lehrens und Lernens unter einander das gute Einvernehmen der Oberen mit den Unteren, indem es den Oberen empfiehlt, wenn sich Untere um einen Platz an dem Tische, wo er den Vorsitz führt, bewerben. Nur untauglichen Oberen werden Untere nicht anvertraut.

Von 2 bis 4 Uhr dauern wieder die öffentlichen Lehrstunden; von 4 bis 7 Uhr, wo das frugale Abendbrod eingenommen wird, studiren alle diejenigen auf ihren Stuben, welche keine Privatstunden haben oder das Elbbad besuchen dürfen, doch tritt um 5 Uhr eine kurze Unterbrechung ein. Nach dem Essen ist wieder bis 8 Uhr frei; dann gehen die Schüler wieder auf ihre Plätze in den Stuben und dürfen sich einer freieren Beschäftigung hingeben, entweder deutsche Bücher lesen, die sonst nicht zugelassen werden, oder Musik treiben, oder Briefe schreiben und dergleichen. Um 9 Uhr wird das Tagewerk, wie es am Morgen mit Gesang und Gebet begonnen wurde, ebenso beschlossen. Nach dem Gebet gehen die Schüler gegen halb 10 Uhr zu Bett.

Der kommende Tag gestattet vielleicht unter Vorgang des Hebdomadarius einen längern Spaziergang ins Freie oder es ist ein sogenannter Studirtag, an welchem die öffentlichen Lehrstunden völlig ausgesetzt sind und eine ununterbrochene Zeit für die eigne Selbstthätigkeit der Schüler, die sich da auf ihren Wohnstuben befinden, gegeben wird, denn die Landesschulen halten sehr viel auf den Privatfleiß, auf Beschäftigung mit schriftlichen Arbeiten und Belebung der Selbstthätigkeit. Dabei beruht das Geheimniß ihres ganzen Regiments auf fortdauernder Beaufsichtigung. Die Gesammtheit ist beaufsichtigt durch den Rector und den jedesmaligen Hebdomadarius, die Schüler in ihrem Beisammenleben durch die Hausinspectoren und Tischoberen, die Classen unter einander durch Einhaltung gewisser Vorrechte und Befugnisse, deren Ueberschreitung niemals ungestraft hingeht. So muß die Uebung des Gehorsams alsbald zur Fertigkeit werden. Gehorsam aber und Fleiß sind die Bindemittel des Ganzen. Wohl der Anstalt, die es darin zu einer solchen Gewohnheit gebracht hat, daß Allen die Ueberzeugung beiwohnt, es könne gar nicht anders sein!

Mit den frohesten Hoffnungen auf rege Theilnahme konnte diese Anstalt, die von jeher eine gute Mutter der ihr anvertrauten Zöglinge gewesen war, der Festfeier ihres dritten Jahrhunderts entgegensehen. Schüler und Zöglinge, welche durch sechs Jahre langes Beisammensein in einer Lehranstalt mit einander verwachsen, bewahren nach ihrer Trennung auf den verschiedenen Berufswegen ihres nachmaligen Lebens einen Fonds der Erinnerung, die niemals erlischt. Noch ehe von Seiten der Schule öffentliche Ankündigungen über die bevorstehende Festfeier erlassen waren, kamen Anmeldungen und vielfache Bezeigungen der Theilnahme. Und diese Merkzeichen mehrten sich wie ein fortlaufender Strom, je näher die Tage der Feier heranrückten.

Festlich ausgeschmückt in allen Räumen mit Blumenguirlanden, Kränzen und Fahnen eröffnete die Anstalt am 1. Juli ihre Pforten. Ein geschmackvolles Portal trug nach außen die Inschrift:

     Quisquis ades faveas! Afrae sua sacra parantur.
     (Freue dich, der du kommst! Es gilt die Feier St. Afra’s.)
nach innen:
     Egrediens Afram matrem laudabis et intrans!
     (Schreitend herein und hinaus lobpreise die Mutter St. Afra.)

Die erste Huldigung wurde der Anstalt durch Ueberreichung einer Fahne gebracht, welche die Frauen des Schulcollegiums mit ihren Töchtern unermüdlich ausdauernd gestickt hatten. Die treffende Anrede einer der Frauen beantwortete der Rector, nahm ihr Geschenk im Namen der Anstalt in Empfang, dankte ihnen, die in das Thun der Männer das Schöne hineinzuweben vermöchten, und bezeichnete den anwesenden Hausinspectoren die Fahne als das Banner der Humanität, welche innere Sittlichkeit höher stelle als äußere Sitte, als das Banner, um welches sie sich versammeln müßten, um alles Gemeine fern zu halten. Hierauf sprach der Primus der Schule in kurzen Worten den Dank der Gesammtheit der Schule aus, die, auf dem Schulhofe versammelt, mit der Fahne in geschlossenen Reihen vor den Damen vorüberzog, und ihnen ein Vivat brachte. Die Fahne selbst, von weißer und grüner Seide in Gold und Chenille gestickt, hat drei Ellen Länge und Breite und zeigt auf der einen weißen Seite Eckstücke von Eichenzweigen. Die Mitte bildet in großen englischen Schriftzügen die Inschrift: „Zum 300jährigen Jubelfeste 1843.“ Ein Epheukranz umschließt auf der andern grünen Seite das in gothischen Schriftzügen mit Arabesken verzierte Wort St. Afra. Auch sind hier die Eckstücke mit Epheublättern in weißem Sammet und Gold gestickt. Kurz vor Ueberreichung der Fahne hatten die Hausinspectoren im Namen des Coetus einen geschmackvollen Teppich übergeben, dessen Kosten die Schüler aus den Ersparnissen ihres Wochengeldes gewonnen hatten. Es soll derselbe bei öffentlichen Schulfeierlichkeiten zur Decoration des Rednerplatzes der Alumnen dienen.

Der 2. Juli, der Tag der Vorfeier, ward früh 4 Uhr mit dem Geläute aller Glocken und unter Kanonenschüssen angekündigt. Um 6 Uhr ward vom Chor der Schüler, vom breiten Thurme der Domkirche herab, unter Begleitung von Blasinstrumenten ein Morgenlied gesungen, darauf ein zweites vom Prof. Diller für die Festfeier gedichtetes, nach der Mel.: Nun danket alle Gott. Es schließ mit dem Vers:

Im Lichte wandelt seine Bahn,
Wer Gottes Geist empfangen.
Nur der Verblendung irrem Wahn
Mag vor dem Lichte bangen.
O leuchte, Himmelsstrahl,
Pilgern im Erdenthal!
Daß Gott den Herrn erkennt,
Wer seinen Namen nennt,
Und Lob und Preis ihm singe.

Um 9 Uhr begann in der Afrakirche der Gottesdienst. Nach Aufführung einer Festmusik und einleitendem Gesang sprach Pastor Schmidt mit Unterlegung des Textes Psalm 48, 2. 3. über das Thema: „Warum haben wir uns der höhern Bildungsanstalten unsres Vaterlandes so dankbar zu erfreuen?“ und beantwortete diese Frage mit den trefflich ausgeführten Worten: „in ihnen besitzen wir die köstlichste Segensfrucht der Reformation, in ihnen die preiswürdigsten Vermächtnisse treuer Fürstensorge, in ihnen die ergiebigsten Quellen fortschreitender Gesammtwohlfahrt, in ihnen die rührendsten Zeugen von Gottes gnadenreichem Walten.“ Nach dem Gottesdienst erfolgte der Empfang der Deputationen und die Uebergabe der Ehrengeschenke von Auswärtigen. Es würde zu weit führen, wollten wir Titel und Namen der wohlwollenden Begrüßer und ihrer Festgaben hier vollständig aufführen. Darum genüge die Bemerkung, daß vom Domstift zu Meißen, von dem evangel. Landesconsistorium, von der Thomasschule und Nicolaischule zu Leipzig, der Fürstenschule zu Grimma, der Kreuzschule zu Dresden, der Schule zum Kloster beatae virginis zu Magdeburg, dem Gymnasium zu Bautzen, der Landesschule Pforta bei Naumburg, dem Vitzthum’schen Geschlechtsgymnasium zu Dresden, dem Gymnasium zu Freiberg, von der Kirchengemeinde zu St. Afra, vom Superintendent Dr. Schumann in Annaberg, vom Comthur Dr. Hermann und vom Licentiaten Dr. Hölemann Votivtafeln, Gedichte u. Gratulationsschriften verschiedener Art eingegangen sind, auch

Das Kreuz auf dem Götterfelsen.

Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 6 vom 5. August 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_06.pdf/10&oldid=- (Version vom 12.5.2023)