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Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843


benahm sich die Bevölkerung bewunderungswürdig. Die Behörden ordneten und leiteten die gemeinsamen Anstrengungen mit Ordnung und Thätigkeit.

Die französische Regierung beantragte sogleich eine Unterstützung von 21/2 Mill. Fr. bei den Kammern, und diese bewilligten sie ohne alle Berathung. Ueberall bildeten sich Hülfsvereine, und eine Commission, in welcher der Minister der Marine und der Colonien den Vorsitz führt, vereinigt alle Gaben und überwacht deren Verwendung. Die Schulen, der Handelsstand, die Nationalgarde, die Presse, die Geistlichkeit, kurz ganz Frankreich schloß sich in großmüthiger Theilnahme an. Gegenwärtig sind durch freiwillige Beiträge bereits über drittehalb Millionen Franken zusammengebracht und zum Theil abgesendet worden.

Berichte aus Guadeloupe geben ein sehr düsteres Bild von dem moralischen und materiellen Zustande der Bewohner des von dem Erdbeben heimgesuchten Theiles der Insel. Der Anblick, den die verwüstete Stadt darbietet, wird mit dem einer Ruine verglichen, über welche schon Jahrhunderte hinweggegangen. Der Boden, auf welchem Pointe à Pitre stand, ist von großen Spalten zerrissen, welche ganze Massen von Schlamm ausgespieen haben. Die Quais haben sich an mehren Punkten anderthalb und zwei Fuß tief gesenkt. Der auf das Erdbeben gefolgte Brand der Stadt wird hauptsächlich unterirdischem Feuer zugeschrieben. Die Spitzen der meisten Berge der Insel sind eingestürzt. Die beiden Flüsse Lamentin und Moustique führen statt des Wassers nur noch Schlamm. Auf die fieberhafte Thätigkeit, mit welcher die Ueberlebenden in den ersten Tagen an der Rettung von Menschen und Eigenthum arbeiteten, ist, seitdem sich der ganze Umfang des Unglücks deutlicher übersehen läßt, Abspannung und Entmuthigung gefolgt. Alle durch die Umstände nothwendig gemachten Arbeiten werden durch den Mangel an baarem Gelde gelähmt. Man hat vergebens in den Gouverneur gedrungen, eine Summe von 11/2 Mill. durch Ausstellung von Wechseln auf den französischen Schatz zu realisiren und sie als Darleihe an die Verunglückten zu vertheilen. Auch die Einberufung der Colonialrepräsentation ist von dem Gouverneur zum großen Misvergnügen der Bevölkerung abgelehnt worden. Indessen müssen die ersten Geldsendungen von Paris bereits eingetroffen sein, und ohne Zweifel eine wohlthätige Wirkung hervorgebracht haben.

Das Departement der Marine rüstet mit löblichem Eifer fortwährend Schiffe aus, welche den Opfern des Erdbebens in Guadeloupe Hülfe bringen sollen. Die öffentliche Theilnahme spricht sich außerdem in Concerten, Lotterien, Benefizvorstellungen der Theater und selbst in Billardpartien aus, welche in den Cafés gespielt werden, und deren Einsatz demselben wohlthätigen Zwecke gewidmet ist; die bedeutendste Unterstützung hat jedoch der große Bazar im Palais Royal gewährt, der, von den ersten Damen von Paris gehalten, über 100,000 Fr. eingebracht hat.

5.

Die heutige Lage der gewerblichen Industrie in Deutschland.

Die deutsche Gewerbsthätigkeit ist kein Ergebniß, welches man anregenden und fremde Mitbewerbung ausschließenden Staatsmaßregeln verdankt, denn von jeher haben die Zölle in Deutschland mehr den Charakter einer Quelle für Staatseinnahmen, als den eines Schirms für eine sich entwickelnde Industrie an sich getragen. Jener Schirm war in den frühern Zeiten, in die wir uns zurückversetzen wollen, auch schlechterdings ohne alle Bedeutung, und würde eher von schädlichen als nützlichen Erfolgen begleitet gewesen sein, da er den deutschen Handel, der zur Zeit der Hansa so blühend war, nur hätte beschränken können. Wer erinnert sich nicht der deutschen Tuchgewerkschaften, der Rasch- und Zeugmacher, der Leinweber im Mittelalter; wer wüßte nicht, daß der Stammvater des mächtigen Geschlechts der Fugger ein Weber war, und daß jene großen Kaufleute deutscher Gewerbsthätigkeit ihren Aufschwung verdankten. Deutsche Waaren fand man in allen Häfen der damals bekannten Welt, wohin sie auf deutschen Schiffen geführt wurden. Jene festen Formen in der Betreibung der Gewerbe, welche wir jetzt noch unter dem Namen Zünfte, Innungen und Gewerke kennen, sowie die größte Freiheit des Handels, unterstützt durch die Geschicklichkeit, den Fleiß und die Rührigkeit der Deutschen, brachten in Deutschland einen Wohlstand hervor, von dem der damalige Flor der Städte, wir nennen hier nur Nürnberg und Augsburg, zeugen mögen. Dieser Zustand wurde uns von Frankreich und England beneidet; das durch ersteres hauptsächlich genährte Feuer des dreißigjährigen Krieges, während in Frankreich und England verhältnißmäßig Ruhe herrschte – zerstörte die friedlichen Werkstätten und vernichtete den Handel; die Entdeckung des Seewegs nach Ostindien und die von Amerika hatten dem westlichen Europa mit seinen ausgedehnten Küsten einen unendlich großen Vortheil gegen Deutschland in die Hand gegeben. Die mit entschiedener Willenskraft begabte Staatseinheit Frankreichs und Englands benutzte, während Spanien von reichen Schätzen unthätig zehrte, ihre günstige Handelslage und die großen Vortheile, welche diese gewährte, um so viel als möglich, nicht allein die Natur-, sondern auch die Kunsterzeugnisse Deutschlands nicht nur von ihren eigenen Grenzen, sondern auch von neutralem Boden auszuschließen. Es bildete sich das englische und bald darauf das französische Absperrungssystem, nach dem unter den größten Strafen keine fremde Waaren die Grenzen überschreiten durften.

Daß unter solchen Umständen nach und nach eine sehr bedeutende Gewerbthätigkeit in England und Frankreich, wo übrigens schon sehr tüchtige Keime vorhanden waren, hervorgerufen werden mußte, liegt am Tage. Indessen brauchte hunderte von Jahren lang Deutschland die fremde Thätigkeit nicht zu scheuen. Allmälig aber, zur Zeit der französischen Revolution, machten sich die Folgen der englischen Maßregeln bemerklich. Englische Manufakturwaaren kamen zuerst nach Deutschland, als, einige Zeit nach der Einführung der Spinnmaschinen, sie besser als deutsche Waaren geliefert wurden. Napoleon wollte durch das Continentalsystem England mit seinen eigenen Waffen schlagen –; deutsche Manufakturen fingen an, sich mächtig zu entwickeln; indessen die darauf folgenden Befreiungskriege zerstörten wieder sowol Arbeitskräfte, als Capital. Während jener Zeit war die größte Ruhe in England; dasselbe aber beherrschte das Meer, schloß alle Handelsschifffahrt außer der seinigen aus, und versorgte die reichen überseeischen Länder und durch Paschhandel auch Deutschland mit den Erzeugnissen seiner Manufakturen, welche nun, unterstützt durch eine sich mächtig entwickelnde Mechanik, Riesenschritte vorwärts that, während Deutschlands Boden mit dem Blute der eigenen Söhne und der erschlagenen Feinde getränkt wurde, die Brandfackel über den Städten loderte und die bleiche Seuche ganze Bevölkerungen vernichtete. Nachdem der Friede wieder hergestellt war und die losgelassenen Fluthen der Völker in ihre Dämme zurückgetreten waren, verschloß sich England luftdichter denn je gegen das Eindringen fremder Gewerbserzeugnisse; ja es belegte fremdes Korn und Fleisch mit dem Bann und behielt seine eigennützigen Schifffahrtsgesetze bei. Frankreich folgte diesem Beispiele theilweise aus gerechter Nothwehr gegen England, theilweise zur Abwehr des Fremden, um das Eigene sich schneller erkräftigen zu lassen. Rußland säumte nicht, sich nach und nach mit Schlagbäumen zu umgürten. – Nun glaubte auch Oestreich nicht zurückbleiben zu dürfen. Das übrige Deutschland aber zersplitterte seine Kraft und verlor die Zeit durch halbe Maßregeln, durch ein System, in dem man die Grundsätze des durch keine Zölle beschränkten Handels mit dem Schutz der Landesindustrie gegen fremdes Übergewicht zu vereinigen suchte, ein System, bei dem das Land mit Schlagbäumen und Mauthbeamten überdeckt wurde, und wo dennoch die Grundsätze des freien Handels als maßgebend angenommen wurden. Den nie genug anzuerkennenden Bemühungen Preußens gelang es, dieser Verwirrung durch die Bildung und allmälige Erweiterung des Zollvereins im Wesentlichen ein Ende zu machen. – Die Unvollkommenheit des Tarifs trägt die Schuld, daß der deutsche Zollverein bis jetzt noch nicht sämmtliche deutschen Lande umschließt. Die hohe Besteuerung derjenigen Naturprodukte, welche wir mit weniger Ausnahme nur aus der Fremde beziehen können, wie Kaffee, Zucker, Reis, Tabak etc. beschränkt den Handel und den Austausch unserer Erzeugnisse, während die zu niedrigen Zölle auf Waaren, die wir durch unserer Hände Arbeit machen können, unsere Gewerbthätigkeit zu vernichten drohen. Statt daß wie früher Deutschlands Gewerbserzeugnisse alle Märkte erfüllten, hat gegenwärtig Englands mit furchtbarer, niederschmetternder Maschinenkunst ausgerüstete Fabriksindustrie auf allen Märkten den deutschen Handel und dem zufolge auch die deutschen Waaren verdrängt. Die deutschen Eisenwerke, statt eigene Erze zu verschmelzen, müssen englisches Roheisen verfrischen; die deutschen Zinnbergwerke stehen still, weil das Bancazinn zu wohlfeil ins Land kommt; die deutschen Spinnereien zerlegen ihre Maschinen, und durch die leeren Säle, die zertrümmerten Fenster pfeift der Wind. Die Spitzenklöpplerinnen des Erzgebirges tragen englische Spitzen und essen Baumrinde. Das ist das Schicksal deutscher Gewerbthätigkeit. Sie ist in vieler Hinsicht ein Fluch geworden für die Bevölkerung und ein bedrohlicher Geist für die Staatsgewalt. Und ist es etwa in England und Frankreich nicht noch viel schlimmer? – Aber das sind die Folgen jener verderblichen Maßregeln, durch Beschränkung der Handelsfreiheit gewerbliche Thätigkeit gewaltsam hervorrufen und zeitigen zu wollen. Daraus entstehen verkünstelte Verhältnisse innerhalb der Staaten selbst und in ihren Beziehungen zu einander, welche zusammenfallen beim leisesten Anstoß von außen. Englands erleuchtete Staatsmänner haben dies längst erkannt und arbeiten darauf hin, sich aus den unnatürlichen Zuständen herauszuwickeln. Da aber die Zugeständnisse, welche sie den handelsfreiheitlichen Grundsätzen machen, nicht frei von Rückhalten sind, über die sie nicht hinwegkommen können : so wäre es in der That unklug, gegen einen schwer bewaffneten Feind die eigene Wehr, und noch dazu eine sehr leichte, aus der Hand zu legen. – Sowol Oestreichs wie des Zollvereins – möchte bald des hochherzigen östreichischen Fürsten Wort in Erfüllung gehen: „Ein Deutschland“ – Fabriksindustrie – der Riesengeist, der auf Englands Ruf zu Ende des vorigen Jahrhunderts in die Welt getreten ist – ist noch nicht so gekräftigt, daß sie Stand zu halten vermag gegen die sorgsam genährte, scharf bewehrte, englische und selbst die französische Industrie. – Hier gilt es Nothwehr und gerechte Wiedervergeltung. Wir glauben, daß endlich die Völker dahin kommen werden, die Industrie- und Handelskriege aufzugeben, um sich versöhnt die Hände zu reichen. Zur Zeit aber, wo nicht allein Rußland und Frankreich ihre Zölle erhöhen und gegen Deutschland zu Felde ziehen, England nicht ehrlich zu Werke geht, vielmehr uns Deutschen nur das Bild des Fleisches im Wasser zeigt; so sogar die amerikanischen Staaten, welche sonst nie daran gedacht haben, und zu ihrem eigenen Wohl auch nicht hätten daran denken sollen, zu fabrizieren, hohe Zölle auflegen, um Spinnereien und Webereien zu zeitigen; zu dieser Zeit ist es wol nicht gerathen, die Grundsätze eines durch keine Zölle beschränkten Handels ins Leben einzuführen, wenigstens in so weit nicht, als dieselben die deutsche Gewerbthätigkeit zu vernichten im Stande sind.

Unter den Einflüssen, deren geschichtliche Entstehung wir soeben mit einigen scharfgezogenen Umrissen zu verdeutlichen gesucht haben, unter eigenen und fremden Zoll- und Schutzmaßregeln, unter dem Druck, der auf der deutschen Schifffahrt lastet, unter der Ruthe der übermächtigen, englischen Fabrikindustrie leidet jetzt im Allgemeinen die deutsche Gewerbthätigkeit. Im Besonderen aber auch durch den schlechten Ausfall der vorjährigen Ernte und durch die hohen Preise der Lebensmittel, wodurch die Käufer verhindert werden, viel Waaren zu kaufen, die Arbeiter vermehrten Lohn erhalten oder schlechter leben müssen. Mit geringer Ausnahme befinden sich sämmtliche deutsche Fabrikzweige in einem kränkelnden Zustande.

Von den Geschäftszweigen, über die wir im Laufe unserer Mittheilungen über Handel, Industrie und Technik Gelegenheit nehmen werden, uns zu verbreiten, erblicken wir zunächst die Spinnereien, welchen Stoff sie auch verarbeiten mögen – mit Ausnahme der Streichgarnspinnerei, welche in Folge des Aufschwunges blüht, den die lange im Argen gelegene deutsche Tuchmanufactur vornämlich durch die Bemühungen Chemnitzer Maschinenfabrikanten genommen –, in sehr leidender Verfassung. Die Baumwollspinnerei zu allermeist, da die Preise so gedrückt sind, daß das werbende Capital bis auf ein Fünftel zusammengeschmolzen ist und Niemand es noch wagt, wider die Engländer in die Schranken zu treten,

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: Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 22. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_02.pdf/6&oldid=- (Version vom 21.5.2018)