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Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843

habe; Odette solle ja rein bleiben und der Engel der Herrscher und des Vaterlandes sein u. s. w.

Im zweiten Akte erblicken wir die Königin Isabeau und den Herzog von Bedfort, welche unter festlichem Pomp

Madame Dorus in der Rolle der Isabeau.

Duprez als Dauphin.

den Act vorbereiten, wodurch Frankreich für immer zu Englands Sklaven gemacht, und die Krone Karl’s VI. auf Heinrich’s VI. Stirn verpflanzt werden soll. Hierbei findet ein Concert, dann ein Ball, endlich ein Abendschmaus statt. Drei Pforten öffnen sich im Hintergrunde, ein Ceremonienmeister nähert sich, die Königin erhebt sich, reicht dem Herzog von Bedfort die Hand und singt:

Mylords und Herrn! die Tafel wartet unser!

Alle gehen hinaus, der Saal ist leer, da nähert sich ein Mann wankenden, langsamen Schrittes, sein Antlitz bleich. Vor der Pforte des Zimmers, wo das Banquet stattfindet, steht er still und ruft aus: Ich habe Hunger! Dieser Mann, welcher mit seinem Magen wie mit seinem Kopfe in Zwiespalt ist, ist der König von Frankreich selbst! Odette läßt ihn nicht lange allein; sie sucht ihn durch das Spiel zu zerstreuen, welches für diesen wahnsinnigen König erfunden ist, durch das Kartenspiel, spricht dabei mit ihm von seinem Sohne und erweckt dadurch nach und nach in ihm den Wunsch, seinen Sohn wiederzusehen. Dies hat sie allerdings dem Dauphin versprochen; aber sie schadet ihm, statt, wie sie glaubt, ihm zu nützen. Bald treten die Königin und Bedfort wieder ein. Karl zittert vor ihr und wird bleich. Die Königin begehrt, er solle den zwischen ihr und Bedford geschlossenen Vertrag unterzeichnen, vermöge dessen Heinrich VI. zum einzigen Erben des Königs von Frankreich erklärt wird. Er weigert sich, obgleich er von dem, was man von ihm fordert, nicht viel weiß; aber die Königin veranlaßt, daß Odette das Zimmer verläßt, und bemächtigt sich der Karten, die sie auf dem Tische bemerkt. Da verzweifelt das greise Kind, fängt an, von Freiheit zu singen und unterzeichnet, als Isabeau ihm sagt, er werde Odette und sein Spielzeug wieder erhalten. Dann setzt er sich, mit stumpfem Lächeln, wieder zum Spiel, während Bedfort ihm zur Seite mit lauter Stimme die Acte liest, wodurch der Dauphin enterbt wird.

Am folgenden Morgen wird Karl zu dem alten Raymond gebracht, sieht seinen Sohn wieder und erkennt ihn kaum. Ein Abgesandter der Königin ruft ihn aber eiligst zu einer feierlichen Ceremonie zurück. Angesichts von Paris, welches sich im Hintergrunde ausbreitet, wird für Karl und Isabeau ein Thron errichtet, zu dessen Füßen das Volk mürrisch, düster, unwillig sich drängt. Heute sollen die angemaßten Rechte Heinrich’s VI. proclamirt werden. Ein glänzender Zug nähert sich, Bedfort an der Spitze, der junge Heinrich vom Gefolge umgeben. „Wie schön ist doch das Kind!“ ruft Isabeau. „Aber ein Engländer,“ erwidert der König, der trotz seiner Verrücktheit doch manchmal ganz gute Einfälle hat. Isabeau verlangt weiter, er solle ihm, dem er schon das Diadem aufgedrückt, auch den Friedenskuß geben. „Ich? ich?“ ruft Karl. Er sei der Erbe, fällt ihm Bedfort ins Wort, welcher einst regieren soll. „Niemals!“ schreit der König. Das kommt freilich unerwartet. Isabeau kann nun nichts weiter thun, als den König in einen ganz Tollen verwandeln.

Barbillet als Karl VI. – Madame Stoltz, Odette.

Der König ist allein und erwartet seinen Sohn, welcher sich in Paris eingeschlichen und Karl’s Befreiung vorbereitet hat, indem er auf ein gegebenes Zeichen durch ein Fenster in das Hotel Saint-Paul eindringen und den alten König entführen will. Plötzlich vernimmt er dumpfe, traurige, schreckhafte Töne! Er schaudert, er entsetzt sich. Ein halbnackter Mann, furchtbaren Ansehens, erscheint, derselbe, dessen Anblick im Walde von Mons seine Vernunft verwirrte. Auf dessen Wink erscheinen drei Gespenster, welche Clisson, Ludwig, des Königs Onkel, und Johann ohne Furcht darstellen sollen. Beiläufig bemerkt war aber Ludwig nicht, wie es im Texte heißt, sein Oheim, sondern sein Bruder; doch das thut nichts, der König ist zu erschüttert, um auf diesen historischen Irrthum zu merken, oder gar ihn zu widerlegen. Sie singen einen schrecklichen Rundgesang und rufen zuletzt aus, daß er wie sie durch Meuchelmord fallen werde und zwar von der Hand seines Sohnes. Nun ist der alte König vollständig wahnsinnig, und in einem Anfalle von Wuth liefert er seinen Sohn seinen Feinden aus. Doch um kurz zu sein! In dem entscheidenden Augenblicke, als, im Angesichte des Hofes, der Engländer und des Volkes, Karl VI. verlangt, daß sein Sohn verzichten solle, dringen Geharnischte aus der unterirdischen Kirche von Saint-Denis, befreien den Dauphin, und verschaffen dem alten Karl das Vergnügen, nicht blos als König, sondern auch als Troubadour zu sterben, indem er den schon citirten Refrain singt:

Der König lebe! denn in Frankreich
Soll nie der Britte Herrscher sein!

Diese von französischem Standpunkte aus patriotische Oper hat, wie man aus unserer Skizze sieht, einzelne pikante Situationen und sinnreiche Wendungen, ist aber dünn und unbefriedigend in der Intrigue, die einen zu schwachen Pfeiler abgibt, um das mächtige Dachwerk von fünf Akten stützen und tragen zu können. Der Musik von Halévy wirft man Einförmigkeit und Mangel an Melodien vor. Dagegen waren Costüme und Decorationen überaus pracht- und geschmackvoll. Besonders ist der große Zug im dritten Akte hervorzuheben, indem es dabei weder an Reiterei, noch Fußvolk und Artillerie fehlte. Die goldenen oder stählernen Rüstungen, auch der Pferde, verblendeten fast die Augen. Eine Ansicht von Paris und eine andere, welche das Innere der Kathedrale von Saint-Denis darstellt und von uns oben mitgetheilt wird, können beinahe als Kunstwerke gelten.

Empfohlene Zitierweise:
: Illustrirte Zeitung, Nr. 2 vom 8. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_02.pdf/13&oldid=- (Version vom 21.5.2018)