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Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843

Die gefährliche Strecke war jedoch schon zurückgelegt und wieder 52 Fuß fertig geworden, als der Fluß am 12. Januar 1828 zum zweiten Mal durch den Schild brach. Binnen 10 Minuten war der Tunnel voll Wasser, und dieses verursachte eine Luftströmung, die alle Lichter auslöschte, so daß sechs Arbeiter sich nicht herauszufinden vermochten und ihren Tod fanden. Brunel’s Sohn half sich eine Strecke in völliger Finsterniß fort, dann ergriff ihn der Wasserstrom und führte ihn glücklich in die Kreismauer empor. Der Einbruch geschah 600 Fuß vom Eingange und durch eine Erdschicht von 25 Fuß. Es waren noch 700 Fuß zu vollenden.

Das Hinderniß ward wieder auf dieselbe Weise aus dem Wege geräumt, wie das vorige Mal. Zur Ausfüllung des Risses waren nicht weniger als 4000 Tonnen Erde erforderlich, meistens Thon in Säcken. Der Tunnel ward ausgepumpt und das Gewölbe zeigte sich abermals unverletzt. Der Wunsch, das Werk zu vollenden, war so allgemein, daß Hunderte von Plänen zu diesem Zwecke eingesandt wurden. Allein die Geldmittel der Gesellschaft waren erschöpft. Das Parlament genehmigte zwar den Abschluß einer Anleihe von 200,000 Pf. St.; es wurden auch wirklich durch freiwillige Beiträge über 5000 Pf. St. zusammengebracht; allein die Arbeiten mußten dennoch eingestellt werden.

Sieben Jahre blieb der Bau unterbrochen, bis am Ende die Regierung einwilligte, die erforderlichen Vorschüsse zu leisten, und die Arbeiten wieder begonnen werden konnten. Im Januar 1835 wurden die Bogengänge von Neuem eröffnet, allein der Fortschritt ging sehr langsam, weil der Boden des Flusses fast ganz aufgeweicht war, weil ein ganz neues, künstliches Flußbett über dem Tunnel gebildet werden mußte und weil dieser gleichsam eine Senkgrube zur Ableitung und Aufnahme alles Wassers in der Nähe bildete. Diesem Uebelstande half man am Ende durch Grabung des Eingangsschachtes auf der Flußseite von Wapping ab. Auch ward der alte Schild weggenommen und durch einen neuen ersetzt. Am 23. April 1837 fand ein dritter Flußeinbruch statt; ein vierter kam am 2. November 1837 vor und verursachte den Verlust eines Menschenlebens; am 6. März 1838 geschah der fünfte und letzte. Vollendet wurden 1836: 117; 1837: 28, 1838: 80, 1839: 194 und in den beiden ersten Monaten 1840: 76 Fuß, so daß nur noch 60 Fuß übrig waren. Im Januar 1841 ward der Tunnel unter dem Fluß in einer Länge von 1140 Fuß fertig und am 13. August desselben Jahres schritt Sir Isambert Brunel mittels eines Ganges, der den Tunnel mit dem auf der Flußseite von Wapping 75 Fuß tief abgeteuften Schacht verband, zum ersten Mal von einem Ufer zum andern. Der westliche Bogengang selbst ward am 1. August 1842 auf der Flußseite von Wapping eröffnet.

Mit dem Fortschreiten des Baues wuchs auch die allgemeine Neugierde und der Besuch des Riesenwerks. Im Jahr 1838 zählte man 23,000, im Jahr 1839 schon 34,000 Besucher, und in dem im März 1841 endenden Jahre hatte die Einnahme für diesen Besuch 1705 Pf. St. betragen, was 34,100 Besucher ergibt.

Die großen Kreismauern, welche auf beiden Seiten des Flusses den zum Eingang hinabführenden Schacht bilden, sind jetzt mit bequemen Treppen für Fußgänger versehen. Die Illustration zeigt den Schacht auf der Flußseite von Rotherhithe. Die Fahrbahnen sind noch nicht fertig. Sie werden auf beiden Ufern aus 40 Fuß breiten, in einer Schneckenlinie von 200 Fuß Durchmesser, die sich zweimal um eine kreisförmige Ausgrabung herumwindet, 57 Fuß tief hinabführenden Wegen bestehen, so daß die Steile sehr gering ist. Die Bogengänge sind fortwährend mit Gasflammen beleuchtet und die Temperatur in ihnen unterscheidet sich wenig von der freien Luft.

Sir I. Brunel verläßt den Tunnel unter dem Beifallsrufe der Anwesenden.

Zur Eröffnungsfeierlichkeit waren am Schacht auf der Flußseite von Rotherhithe zwei Zelte errichtet: eins für die Directoren, die Actionaire und deren Freunde, eins für das übrige Publikum. Flaggen wehten, Glocken läuteten, Alles war voll Siegesjubel. Um 4 Uhr Nachmittags ward ein Signalschuß abgefeuert, worauf der Festzug vom Zelt des Directoriums aus auf der Treppe hinabstieg, wie die Illustration es darstellt. Er schlug den Weg durch den westlichen Bogengang ein, stieg bei der Ankunft auf der Flußseite von Rotherhithe heraus, ging quer über den Zugang und kehrte dann durch den östlichen Bogengang wieder nach der Flußseite von Rotherhithe zurück. Sir Isambert Brunel ward auf dem Wege durch den Tunnel mit begeistertem Zuruf begrüßt und dankte sehr artig. Später fand im Zelte eine Art Cour statt, wobei die Anwesenden Sir Isambert Brunel ihre Glückwünsche darbrachten. Es war eine freudige Huldigung des Genies. Unter den Anwesenden befanden sich Graf Lincoln, Lord Dudley-Stuart, Sir Robert Inglis, Sir Edward Codrington, Sir W. Clay, der Lordmayor, die Parlamentsmitglieder Hume, Rocbuck, Hawes und Warburton, Hr. Rennie, Hr. Babbage, Dr. Faraday und viele andere berühmte Gelehrte. Am Abend gaben die Directoren etwa 100 Gästen ein Festmahl.

Beglückwünschung des Erbauers.

Die Kosten des Tunnels haben den ersten Voranschlag der auf 160,000 Pf. St. lautete, bedeutend überstiegen. Er wird nach vollständiger Herstellung der Einfahrten etwas mehr als 600,000 Pf. St. kosten. Zu den frühesten und eifrigsten Beförderern des Werks gehört der Herzog von Wellington. Die Königin belohnte den Baumeister durch den Ritterschlag. „Betrachte ich,“ sprach Sir Isambert Brunel in der letzten Generalversammlung der Actionaire, „daß so große Gefahren überwunden wurden; daß bei Erbauung des Tunnels unter der Themse blos 6 Menschen umkamen, während bei der Erbauung der Londoner Brücke gegen 10 Menschen ihren Tod fanden; daß furchtbare Gasexplosionen statthatten, wodurch die Arbeiter oft der Besinnung beraubt wurden: so ist es allerdings erfreulich für mich, ein solches Werk vollendet zu haben.“

Seit der Eröffnung des Tunnels steht der Durchgang für Fußgänger gegen Bezahlung eines Wegegeldes von einem Penny Jedem frei. Tausende und aber Tausende drängten sich in den ersten Tagen zum Genuß dieses Schauspiels.

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: Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_01.pdf/7&oldid=- (Version vom 25.3.2018)