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Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843



Nr. 1.] Leipzig, Sonnabend den 1. Juli. [1843.

Jeden Sonnabend 1 Nummer von 48 Foliospalten. – Vierteljährlicher Pränumerationspreis 12/3 Thlr. oder wöchentlich 4 Ngr. – Einzelne Nummern 5 Ngr.

Inhalt.

Was wir wollen. – Helene, Herzogin von Orleans. – Die Bergung des Télémaque. – Die Eröffnung des Themsetunnels in London. – Der Komet.

Longchamp. – Der Zwerg-Pisang. – Das Hoftheater in Dresden. – Ein Reisemärchen, erzählt von Plinius dem Jüngsten. – Modebericht. – Literarische Anzeigen.



Was wir wollen

ist in der That beinahe leichter in Ausführung zu bringen, als in klarer und anschaulicher Weise mit Worten darzulegen, und dies nicht zuletzt aus dem Grunde, weil eine vollständige Entwickelung unserer Aufgabe nur zu leicht den Verdacht erregen könnte, als ob wir mehr versprächen, als wir zu halten beabsichtigen und im Stande sein werden. Inzwischen ist weder das Eine noch das Andere der Fall; um aber auch den Schein der Ruhmredigkeit von uns entfernt zu halten, wollen wir ganz einfach die Hauptgesichtspunkte angeben, von welchen wir bei Gründung dieses Unternehmens ausgegangen sind und hernach uns eine Probezeit von einigen Monaten erbitten, weil es unmöglich ist, unsern Plan binnen wenigen Wochen nach allen Seiten hin zu entwickeln.

Es ist für Niemanden mehr ein Geheimniß, daß die Holzschneidekunst, schon vor Jahrhunderten der beliebteste Schmuck der Bücher und vor wenigen Jahren zu gleichem Zwecke von der Typographie wieder aufgenommen, eine Stufe der Vollendung erreicht hat, welche auch den höchsten Ansprüchen eines ausgebildeten Kunstsinnes entspricht. Es liegen in England und Frankreich unzählige mit Holzschnitten verzierte Werke vor, welche die Wahrheit dieser Angabe verbürgen, und Deutschland ist in keiner Beziehung hinter seinen Vorgängern zurückgeblieben. Keine von allen zeichnenden Künsten ist der Typographie so nahe verwandt, keine übertrifft den gelungenen Holzschnitt an Ausdruck und vielseitiger Anwendbarkeit. Sie ist von kleinen Anfängen zu hoher Vollendung fortgeschritten. Zuerst wagte sich dieselbe nur an einige vereinzelte Werke, beschritt hierauf das Feld der Naturgeschichte und der Technik, stahl sich dann mehr und mehr in die gesammte Literatur ein und ergriff Besitz von den Werken für Schule und Haus. Plötzlich warf sie sich auf die Erzeugnisse der Poesie und rang an Tiefe der Erfindung und an Kühnheit der Ausführung mit den erhabensten Genien um den Preis; die Dichter schienen uns neu zu sein, als sie im Gewande dieser Kunst vor uns traten. Von der Muse wendete sie sich den ärmsten Hütten zu und war bemüht, nützlichen Kenntnissen, wenn auch in rohen Formen, Eingang zu verschaffen; dies erste Erscheinen der Pfennig-, Sonntags- und National-Magazine ist noch in frischer Erinnerung. Zuletzt vermählte sie sich dem Witze und der Satyre, nur noch darauf bedacht, sich Beifall zu erwerben.

Diese Bewährung einer guten Sache nun gibt uns den Muth, die innige Verbindung des Holzschnittes mit der Druckpresse zu benutzen, um die Tagesgeschichte selbst mit bildlichen Erläuterungen zu begleiten und durch eine Verschmelzung von Bild und Wort eine Anschaulichkeit der Gegenwart hervorzurufen, von der wir hoffen, daß sie das Interesse an derselben erhöhen, das Verständniß erleichtern und die Rückerinnerung um vieles reicher und angenehmer machen wird.

Was immer sich in der ganzen bekannten Welt ereignet, von den Großthaten der Fürsten an bis zu dem Ergebniß verborgenster Forschung, wenn es nur ein allgemeines Interesse darbietet, gedenken wir unsern Lesern in wöchentlichen Berichten vorzulegen, und was von diesen Mittheilungen der bildlichen Darstellung zu genauerem Verständniß oder lebendigerem Eindruck bedarf, in möglichst treuen und sorgsam ausgeführten Holzschnitten ihnen vor Augen zu bringen. Während wir aber dort uns vorzugsweise an Thatsachen und an die wirklichen Fortschritte der Menschheit halten und in ihnen gewissermaßen den nährenden Kern der Tagesgeschichte in gedrängtester Darstellung zu geben gedenken, sollen hier Kunst und Wissenschaft aufgeboten werden, um den Gehalt des Kernes nach allen Seitenästen zu, offen zu legen.

Niemand stellt in Abrede, wie oft die klarste Beschreibung von Oertlichkeiten ein Dunkel läßt, welches ein Blick auf Grundriß oder Karte verscheucht, so daß mit dieser Hülfe zehn Worte nicht selten größeres Licht geben, als sonst zehn Seiten. Wer hat wol ohne theure und seltne Karten die Schlangenwindungen des Cantonflusses, die verschiedenen Befestigungen an demselben, die Lage von Tschinkiang und Nanking so deutlich vor Augen gehabt, um von den höchst interessanten Begebenheiten des letzten chinesischen Kriegs sich ein vollkommen klares Bild machen zu können? Wie Wenigen sind Karten von Afghanistan zugänglich gewesen, wie selten sind dieselben vom Kaukasus und wer hat sich vom Englisch-Amerikanischen Grenzstreit eine richtige Vorstellung machen können, der nicht zufällig einen Blick auf die Franklin’sche Karte geworfen hat? Und gleiche Vortheile überall bietet den Lesern unserer Zeitung für die Zukunft die eine Art von Illustrationen durch Karten, Pläne und Ansichten dar. Eine nicht geringere Ausbeute versprechen aber die Portraits der auf der Schaubühne der Welt mithandelnden Personen, von deren Stirnen oft die wahre Herzensmeinung weit sichrer als von dem einschmeichelnden Worte gelesen wird. Was thut nicht bei Begebenheiten von tragischem Charakter die bildliche Darstellung, und wen sollte es nicht interessiren, wenn er von dem Morde des Sirey und von dem Proceß von Caumartin liest, den Ort des Verbrechens und selbst den Grundriß der Wohnung, in welcher sich das Entsetzliche zutrug, vor Augen zu haben? Wer nimmt jetzt nicht Theil an der Oeffentlichkeit und Mündlichkeit des Strafverfahrens und wie Wenige sind doch verhältnißmäßig in der Lage gewesen, solchen Verhandlungen an Ort und Stelle beiwohnen zu können; wie viel muß es daher zur Verständigung beitragen, ein öffentliches Gericht in voller Sitzung, und den Angeklagten mit seinen Richtern im Bilde vor sich zu haben? Und in ähnlicher Weise erstreckt sich der Werth der bildlichen Darstellung auf alle Lebenskreise, auf Menschen und Thiere, auf Stadt und Land, auf Berg und Thal, auf Künste und Wissenschaften. Die Länder- und Völkerkunde, die Sittenschilderungen, für das Verständniß des Lebens von höchster Bedeutung, entbehren ohne Bilder der Hälfte ihres Reizes, und Städte, Bauwerke und Denkmale, die schon längst die öffentliche Aufmerksamkeit in ungewöhnlichen Anspruch nahmen, erhalten nur durch bildliche Darstellung die volle Bedeutung in der Gegenwart des Bewußtseins, die ihnen gebührt. Oder wird es nicht Hunderte und Tausende geben, die Lessing’s Huß, die Biefve’s Carl V. nicht haben sehen können, und die es uns nun Dank wissen werden, wenn wir ihnen von dem, was das Tagesgespräch bildet, an dem sie nicht Theil nehmen können, weil sie die Originale nicht gesehen haben, durch einen tüchtigen Holzschnitt mindestens einen bleibenden Eindruck verschaffen; entbehren sie auch die Pracht der Farben, der Geist des Bildes wird ihnen doch näher gebracht, sie erhalten die Seele desselben und die unbestimmten Ideen nehmen die Gestalt der Wahrheit an; sie mögen es kennen und lieben lernen.

Was aber von Gemälden, gilt in noch weit höherem Grade von öffentlichen Festen und Aufzügen, von Theaterscenen, von Trachten und Decorationen, die dem Verstande nie durch Beschreibung, wol aber auf den ersten Blick durch ein treues Bild nahe gebracht werden; und wenn es vielleicht noch vor einem Jahrzehend ein thörichtes Unterfangen gewesen sein würde, ein Unternehmen, wie das unsrige, fußend auf die Theilnahme Deutschlands an den Zuständen in England, Frankreich und Amerika zu begründen, so hat der inmittelst in nicht zu berechnendem Maße gestiegene persönliche Verkehr sowol, als die politische Nothwendigkeit, unsere Blicke vom Inlande ab in das Ausland zu richten, verbunden mit den Segnungen eines langen Friedens so vielfache und innige Beziehungen hervorgerufen, daß wir überzeugt sind, daß unsere Mittheilungen von dort in Deutschland eben so willkommen sein werden, wie unsere Mittheilungen von hier dort, als die Veranlassung zu einem neuen und innigern Austausch der geistigen Lebenserrungenschaft der drei eng verbundenen Völker, in der That willkommen geheißen worden sind.

Allein wir beabsichtigen, nicht blos für Belehrung, sondern auch für eine angenehme Unterhaltung unserer Leser

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: Illustrirte Zeitung, Nr. 1 vom 1. Juli 1843. J. J. Weber, Leipzig 1843, Seite 1. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Illustrirte_Zeitung_1843_01.pdf/1&oldid=- (Version vom 19.9.2016)