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Curt zuckte die Achseln. „Ich mußte – wer kann zuletzt gegen seine Natur? Aber gib mir den Brief, dann laß mich allein; es wird mir sein, als hörte ich eine Stimme aus dem Grabe, eine ernste, feierliche und doch so süße Stimme!“

Der Maler willfahrte, nahm ein Licht und ging ins anstoßende Zimmer, die Thür sorgfältig hinter sich ins Schloß ziehend. Es dauerte lange, bis sie von Curt geöffnet ward und dieser mit weicher, ein wenig zitternder Stimme des Freundes Namen rief. Seine Augen waren feucht, aber er gab sich keine Mühe, diese Schwäche zu verbergen und reichte Reinisch den Brief hin.

Er lautete:

„Mein lieber, theurer, ewig unvergeßlicher Freund! Ich bin wohl recht plötzlich von Dir gegangen, recht unerwartet, und Du ahntest wenig, daß, was Dir der Anfang eines neuen Lebens schien, für mich der bittre, trostlos harte Schluß war. Ich habe es vom ersten Tage an gewußt und tief gefühlt, daß ich Dein Weib nie werden durfte, sollten die Rosenketten nicht früher oder später zu ehernen Fesseln für Dich werden, und das durfte nicht sein. Du hast’s nie einsehen wollen, und da mußte ich wohl gegen Deinen Willen thun, worein Du nie gewilligt hättest, – Dich von mir befreien. Nun ist der grausame Schnitt ins tiefste Leben vollzogen, und ich habe mich nicht an ihm verblutet, – Du hattest freilich dafür gesorgt, daß ich noch unter Thränen lächeln konnte und Dir im Geiste dankbar die Hand küßte, wie ich es – weißt Du das noch? – so oft gethan, wenn Deine Liebe und Dein Vertrauen mich so über alles menschliche Maß glückselig machten, wenn Deine lieben Augen wie Sterne strahlten und über Deine Lippen ein so übermüthig-stolzes Lächeln flog. Nun ist mir aber in meiner Einsamkeit eingefallen, daß Du doch vielleicht nach Gründen fragst, daß Dir meine hingeworfenen Abschiedszeilen nicht genügt haben, und so wollen wir denn Hand in Hand, wie gute Freunde und treue Kameraden, gut und verständig uns aussprechen und meine Worte sollen Dir den letzten Rest von Bitterkeit aus der Seele nehmen.

„Die Männer sollen es gern hören, wenn wir ihnen sagen, sie seinen unsre erste und letzte Liebe, – ich kann Dirs wohl in voller Wahrhaftigkeit versichern, und wenn Dichs einigermaßen trösten kann, so will ich gern schwören, daß nie wieder ein Männermund meine Lippen küssen wird, die Lippen, die Dein verzehrender Kuß geweiht. Ach, Curt, ich weiß nicht, ob andere Frauen so lieben, wie ich, – oft hat mirs scheinen wollen, als sei es doch nicht so, wenn ich auch nicht begriff, wie man anders lieben könne. Ich habe immer eine so hohe Meinung von der Liebe gehabt, daß ich für kleine Tändeleien und Intriguen keinen Sinn hatte, ich sagte mir, das könne die Liebe nicht sein, und wartete geduldig die Stunde ab, in der meines Herzens Pochen mir sagen würde, nun stehe der Frühling der Seele vor der Thür und begehre Einlaß. Ich hatte mir kein bestimmtes Bild von dem Manne gemacht, den ich lieben sollte, – als Du kamst, da wußte ich auf einmal, wie der aussah, dem – ich gehörte und für den ich willig und lächelnd jeden Tropfen Herzblut hingeben würde, und dann war kein Halten, kein Widerstand mehr. Nie hat ein selbstsüchtiger Gedanke, nie hat ein unwahres Wort die Reinheit und Schönheit dieser Liebe befleckt und tausend, tausendmal habe ich mir gewünscht, in Deinen Armen zu sterben und einzuschlafen, wie ein müdes Kind. Aber das konnte nicht sein, – ich sollte die Reinheit und Tiefe dieser Liebe dadurch beweisen, daß ich die Kraft fand, Dir zu entsagen, und ich schrak auch vor diesem Härtesten nicht zurück, obwohl ich mir oft und oft in stiller Nacht die Hände wund gerungen habe, ohne den Schrei der Verzweiflung niederkämpfen zu können. Mein eignes, glückheischendes Herz und Deine Bitten und Thränen standen im Bunde, – kannst Du Dir vorstellen, was ich gelitten, bevor der Entschluß erkämpft war, mich aus Deinen Armen zu reißen und mich vor Dir zu verbergen – zu Deinem Heil?

„Sieh, mein Freund, Du hast es nie gelten lassen, wenn ich von dem Altersunterschied zwischen uns sprach, und doch – die drei, vier Jahre machen gar viel aus. Zu der Zeit, in der Du erst in Deiner Manneskraft voller, reichster Blüte standest, war ich bereits ein verblühtes Weib, und auch geistig hatte ich nicht mit Dir Schritt gehalten, der Du rastlos vorwärts strebtest, der Tag mußte kommen, an dem Du dessen inne wurdest und das Fazit der Rechnung nicht stimmend fandest. Mein Vater liebte Jean Paul, – ich habe nicht vergessen, daß ich ihm einmal – im ‚Titan‘ war’s ja wohl – die Stelle vorzulesen hatte: ‚Ihr wißt nicht, welche Fegefeuerstunden man mit einem Herzen durchwatet, das voll ist, ohne zu füllen, neben welchem, nicht mit welchem man fühlt.‘ Der Wortlaut mag etwas abweichen – dem Sinne nach wars gewiß so und ich habe mirs gut gemerkt. Sieh, das hätte ich nicht ertragen, der Gedanke, Dich aus Deiner Karriere gerissen, Dich Deinen gesellschaftlichen Kreisen entfremdet, Dir das Wohlwollen Deines Onkels entzogen zu haben, ohne

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Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 622. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_52_64.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)