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wie unser ‚Sommernachtstraum‘ sich gestaltete; hat man nur hübsche Menschen um sich, so kommen die poetischen und künstlerischen Einfälle von selber; um einen Epheukranz und einen zierlichen Farrenwedel brauchte ich ja nicht in Verlegenheit zu sein, und was brauchte ich gegebenen Falls mehr? höchstens ein paar Verszeilen und die würden sich wohl auch improvisieren oder dem Journalisten abpressen lassen; so rechnete ich, während wir auf der Landstraße dahinrollten.

„Wir rasteten noch nicht lange unter den Linden vor dem Gasthaus, als der kleine Ludolf plötzlich meldete: ‚Ein Wagen mit zwei Schimmeln und ein Offizier zu Pferde!‘ Ich sprang auf und hielt die Hand über die Augen, so blendete die prachtvoll untergehende Sonne. Da kamen sie richtig im Fluge daher in der rothgoldenen Abendbeleuchtung – die beiden Schwarzschimmel vor dem leichten offenen Gefährt griffen gewaltig aus und neben dem Wagen galoppirte Curt auf seinem schwarzen ‚Trelawney‘, ohne die moderne Uniform ganz das Bild eines Ritters, der seine Dame nach dem bezinnten Schlosse heimgeleiten will, ehe die Dämmerung niedersinkt. Unsere Damen ließen ihre Taschentücher wehen, Ludolf schwenkte das seine an einem Stabe und auch Leontine ließ, sich im Wagen erhebend, ihr Tuch flattern. Der Wirth, seine Frau und ein paar derbe, knochige Mägde glotzten das kleine hübsche Schauspiel halb neugierig, halb bewundernd an. Bei uns angelangt, brachte Curt, der ein Moosrosenknöspchen zwischen den Zähnen hielt, seinen schnaubenden Rappen mit einem Zügelruck zum Stehen, Jehan, der mit einem belustigenden Ausdruck von Stolz und Glück kutschirte, zog die Zügel an und Curt reichte uns allen vom Pferde die Hand, während Leontine sich mit einem glücklich-frohen Erröthen von mir die einzelnen Glieder unserer kleinen Gesellschaft vorstellen ließ. Sie sah wunderhübsch aus; ihre Toilette war vielleicht mehr geschmackvoll und malerisch, als elegant, und das leichte helle Sommerkleid hob ihre Figur in der vortheilhaftesten Weise, indem es ihr eine gewisse Fülle verlieh; niemand konnte sich dem überraschenden Eindruck dieser nahezu klassischen, etwas fremdartig angehauchten Schönheit entziehen, am wenigsten der kleine Ludolf, der kein Auge von ihr verwendete. Ich hörte, wie die Verlobte der jungen Frau bewundernd zuflüsterte: ‚Wie schön sie ist!‘ und ich war so aufgeräumt, daß ich in die Versuchung gerieth, mich umzuwenden und triumphierend zu sagen: ‚Ja, die haben aber auch wir entdeckt!‘ Und als der kleine Ludolf mich am Rocke zupfte und bittend sagte: ‚Ach, Onkel Reinisch, darf ich wohl mit der schönen Tante fahren?‘ da hob ich ihn ohne weiteres zu ihr empor, und als sie ihn auf die rosigen Lippen küßte, schlang er die Aermchen um ihren Nacken und wäre gewiß nur schwer wieder von ihr zu trennen gewesen. Seine Mutter ließ ihn denn auch gewähren und drohte nur scherzend mit dem Finger und Curt meinte lachend: ‚Da er noch so gar jung ist, will ich mir’s gefallen lassen und gute Miene zum bösen Spiele machen.‘“

„Der Halt war nur von kurzer Dauer; ich bot Leontine ein alterthümliches geschliffnes Kelchglas voll Wein an, gewissermaßen als Willkommentrunk, sie nippte nur und reichte dann das Glas mit einer anmuthigen Bewegung ihrem Ritter, der es bis auf den letzten Tropfen leerte. Dann fuhr das Break mit den Schwarzschimmeln vor, die anderen Wagen folgten und in einer halben Stunde war der Wald erreicht, ein meilenweit sich ausbreitender schöner Laubwald, dessen Wipfel die letzten Strahlen der scheidenden Sonne vergoldete, während zwischen den Stämmen schon die Dämmerung webte. Auf einer kleinen begrasten Anhöhe, zwischen prächtigen hundertjährigen Buchen, wollten wir lagern; um den Fuß des Hügels zog sich dichtes Unterholz und so waren wir in der erwünschtesten Weise isolirt. Die Wagen fuhren, nachdem sie Feldstühle, Proviant und alle die Kleinigkeiten abgegeben hatten, die in sie vertheilt worden waren, bis nach dem Forsthause am Waldsaum, wo sie Unterkunft fanden, bis wir ihrer wieder bedurften, und man zerstreute sich nun, mir und Jehan das Arrangement überlassend, nach Willkür und Zufall im Walde; Curt und Leontine hatten den kleinen Ludolf in die Mitte genommen, der bereits anfing, seine kindliche Anhänglichkeit zwischen beiden zu theilen.

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Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 594. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_50_57.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)