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hatte, war eine andere geworden; ich will nicht sagen, daß es viel stumpfer geworden war, aber es war, als müsse er sich immer erst auf diese Interessen besinnen, als müsse er sie sich mit Mühe gegenwärtig halten, damit sie ihm nicht etwa über Nacht spurlos abhanden kämen. Alles in allem war es ein niederschlagendes Schauspiel und der brave, ehrliche Jehan, der sich ja nicht die geringste Rechenschaft über die Veränderung im Wesen seines Herrn zu geben vermochte, dieselbe aber sehr wohl empfand, sah ihn manches mal kopfschüttelnd und besorgt an; sein derbes Holstengemüth war wenig dazu veranlagt, sich in Schmerzen solcher Art hineinzudenken und den Wurm zu errathen, der am Herzen seines Herrn nagte, aber seine Rathlosigkeit und Niedergeschlagenheit war unverkennbar, und wenn sie auch ihre komische Seite hatte, so war sie doch noch viel mehr rührend und machte mir den Burschen werth. Manchmal schien es mir geboten, ihm eine Andeutung zu geben, aber was hätte ich ihm sagen sollen? Und dann war ja nicht zu fürchten, daß die Ungleichheit in der Stimmung seines Herrn, unter der er ja auch zuweilen zu leiden hatte, ihn je bestimmen könnte, demselben untreu zu werden.

So schleppte sich alles träge, unentschieden und wechselvoll bis um die Mitte Juni hin – bis zur Zeit der letzten Nachtigallenlieder und der ersten Rosen. Ich saß eines Abends spät mit Curt unter der künstlichen Veranda vor dem Café, in dem wir uns gewöhnlich trafen; die Oleander leuchteten von rothen Blüthen und die breiten Leinwandflächen, welche die Veranda in ein Zelt verwandelten, bewegten sich bald gemessen und langsam hin und her, bald blähten sie sich wie Segel, um gleich darauf schlaff in die alten Falten zu fallen, bald flatterten sie unruhig unter den unregelmäßigen Stößen und Strömungen des lauen Nachtwinds. Curt brütete über den „Národny listi“, ich hatte mich in die leipziger „Illustrirte“ vertieft und wir übersahen es ganz, daß ein neuer Ankömmling stehen geblieben war und uns lächelnd durch sein Pincenez fixirte. Endlich warf er uns seine Mütze und seine weißen Handschuhe auf den Tisch, und als wir erstaunt aufsahen, stand Linsinger vor uns, der lebenslustige Kamerad Curts, durch den dieser einst Erkundigungen darüber einziehen ließ, ob man in Offizierskreisen wüßte, wer Leontine Lux war.

„Schau, Blenkheim, das trifft sich aber prächtig, ich suche dich den ganzen Tag wie eine Stecknadel und jetzt, wo ich auf dem Heimweg bin, sehe ich dich plötzlich da zwischen den Oleanderkübeln sitzen und – die Zeitung studiren, als enthielte sie deine Ernennung zum Hauptmann.“

„Vor Reinisch brauchst du dich nicht zu geniren – wie viel hast du nöthig?“ fragte Curt; er war so ziemlich der Banquier für seine Kameraden, denen er stets bereitwillig aushalf und denen er es ernstlich krumm nahm, wenn sie, statt zu ihm, zu einem der Offizierswucherer gingen.

„Davon vielleicht später – du bist übrigens doch ein Prachtmensch! Jetzt wollte ich dich nur davon in Kenntniß setzen, daß ich zum Oberleutnant befördert worden bin, unter gleichzeitiger Versetzung nach Pesth. Uebermorgen geht es fort, morgen Abend müssen wir also einen kleinen Abschied feiern und da darfst du doch nicht fehlen. Und der Herr Reinisch, ich weiß, der kommt auch, wenn ich ihn recht schön darum bitte – das soll aber einmal lustig werden und ich will alle die lieben, guten Gesichter noch einmal um mich sehen, ehe ich zu den Bassamas und Teremtetes gehe und Paprikaschoten kauen lerne.“

„Blos die Kameraden vom Genie?“ fragte Curt lakonisch.

„Ah, wo denkst du denn hin? was wär’ denn das für eine exklusive Gesellschaft! Artillerie, Jäger, Husaren und Ulanen müssen wir doch auch ein paar Mann haben, damit es hübsch bunte Reihe gibt. Der Borkiewicz hat mich ja schon gebeten, ihm einen Platz neben dir zu geben; er hält große Stücke auf dich und bedauert es sehr, daß du ihm, wie er meint, geflissentlich ausweichst. Ich hab ihn ausgelacht – was solltest du gegen ihn haben? Er ist ja in jeder Hinsicht ein famoser Kerl und so unterhaltend – wir haben uns neulich alle vor Lachen geschüttelt, als er Anekdoten erzählte. Für dich wäre das freilich nichts gewesen – die Anekdötchen waren meist ein bissel schlüpfrig und das liebst du ja nicht, aber wenn du dabei bist, menagirt er sich schon, darauf kannst du dich verlassen.“

Curt war ersichtlich unangenehm berührt. Er erwiderte mit einer geradezu befremdlichen Gereiztheit:

„Wenn’s weiter nichts wäre – das nimmt man schon einmal mit in den Kauf. Aber ich mag diesen Borkiewicz nicht, er ist mir zuwider mit seiner fast kriechenden, sklavischen Liebenswürdigkeit, und wenn wir öfters zusammenkommen, gibt es schließlich noch ein Unglück. Laß mich aus dem Spiel, Linsingen – es thut nicht gut, wenn wir beiden in einem Zimmer und an einem Tisch sitzen, und der beste Menéser wird mir zur Galle.“

Linsingen war im höchsten Grade betreten und sein gutmüthiges, treuherziges Gesicht trug eine wahre Bestürzung zur Schau.

„Aber, Blenkheim, das ist doch nicht erhört! So weit wirst du doch die Animosität gegen einen Kameraden nicht treiben, seinetwegen bei meinem kleinen Abschiedsfeste zu fehlen? Wenn du nicht neben ihm sitzen magst, so geb’ ich dir einen Platz, der ganz weit von dem seinen entfernt ist – aber kommen mußt du. Schau, du verbitterst mir den ganzen Abend, wenn du wegbleibst, und deine Abneigung gegen Borkiewicz ist doch rein nichts als eine Grille. Nimm mir’s nicht übel, aber was zu toll ist, ist zu toll.“

Curt mochte fühlen, daß er zu weit gegangen war, wenn er seine Feindseligkeiten nicht erklären wollte, und dazu hatte er selbstverständlich keine Lust. Er lenkte also ein und sagte ruhiger:

„Nun, meinetwegen, wenn du versprichst, mir andere Nachbarn zu geben – aber nur dir zu Liebe. Ich bringe ein wirkliches Opfer, von dessen Größe du keine Ahnung hast – aber sei’s drum – das einemal wird’s ja wohl noch gut abgehen, wenn der Mensch mich nicht etwa reizt.“

„Ja, aber Blenkheim, was um aller Heiligen willen hast du denn nur gegen ihn? Du thust ja grade, als hätte er dir eine Geliebte vor der Nase weggeschnappt.“

„Was ich gegen ihn habe? Nichts und alles! Aber laß es gut sein! Ich habe dir versprochen zu kommen und ich werde kommen, und hättest du selbst Seine höllische Majestät mit Hörnern und Pferdefuß zu Gaste gebeten. Was du aber da von einer weggeschnappten Geliebten fabelst, ist blanker Unsinn – Borkiewicz hat meine Pfade noch nie gekreuzt, er würde aber allerdings der Letzte sein, dem ich das verziehe und mit dem ich glimpflich auseinanderkäme – soviel ist richtig. Und nun: ‚a riverderci domani’.“

Linsingen ging und Curt vertiefte sich wieder in seine Zeitung, mir aber fiel die Schlittenpartie ein und ich nahm mir vor, den Ulanen am nächsten Abend recht aufmerksam zu beobachten, um mir womöglich einen Vers auf meines jungen Freundes fast leidenschaftliche Abneigung gegen ihn machen zu können. Die von Curt angeführten Gründe erschienen mir doch nicht ausreichend zur Erklärung des Widerwillens, und war derselbe ein instinktiver, so mußte er mit elementarer Gewalt wirken, sonst hätte ihn Curt durch Verstandeserwägungen lahmgelegt. Er sprach nicht weiter über die Einladung und wir trennten uns bald darauf mit einem gleichmüthigen: ‚Auf morgen Abend also – im Engel.’

Das kleine Abschiedsfest ließ sich recht hübsch an. Linsingen hatte Curt zwischen mich und einen ihm sehr sympathischen Hauptmann gesetzt und Borkiewicz’s Platz war so weit entfernt, daß sie sich beim besten Willen nicht hätten unterhalten können. Es ging zudem so laut und lustig zu, daß man oft Mühe hatte, seinen Nachbar zu verstehen, und der Pole machte auch gar keine Miene, sich Curt zu nähern, sondern scherzte in einemfort mit seinem Nachbar, einem jungen Dragoneroffizier, der erst seit einigen Wochen in Prag war, mir aber gar nicht sonderlich gefiel, da er eine Blasirtheit affektirte, die durchaus nicht zu seinen Jahren stimmen wollte. Borkiewicz selber mißfiel mir nicht eigentlich; sein Gesicht war freilich weder edel noch eigentlich intelligent, und ein paar stechende schwarze Augen, die unruhig hin und her wanderten und jedem fremden Blick auszuweichen schienen, mahnten zu einer gewissen Vorsicht; ich liebe die Leute nicht, die sich nicht in die Augen sehen lassen. Aber er war entschieden eine martialische Erscheinung und seine Manieren hatten etwas äußerst Gefälliges, Schmiegsames und Zuvorkommendes; er war die Aufmerksamkeit selbst, und wenn diese Aufmerksamkeit auch etwas Devotes hatte, etwas Unterwürfiges und Uebertriebenes, so war das eben eine Rasseneigenthümlichkeit, für die er nicht konnte und die das Urtheil über ihn und seinen Charakter nicht beeinflussen durfte. Für Curt schien er einfach nicht anwesend zu sein – dieser hatte ein ganz besonderes Talent, jemanden zu ignoriren und zwar in der unauffälligsten Weise von der Welt. An jenem Abend war er auch ungewöhnlich gesprächig und heiter, ich hatte ihn seit Wochen und Monaten nicht mehr so gesehen und mußte unwillkürlich denken: ‚Nun sieh’ einmal: da hast du dich nun gegen die Einladung gesträubt, als müßte dir dieser Abend die peinlichsten Eindrücke bringen, und

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_47_44.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)