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nicht so genau wie ihn kannte, war schlechterdings nichts anzumerken, wie sorgfältig ich sie auch beobachtete.

„Der Mond war aufgegangen und goß sein kaltes, klares Licht über die weite schneebedeckte Fläche, als wir die Heimfahrt antraten. Ueber uns die volle glitzernde Sternenpracht eines stahlblauen Winterhimmels, glitten wir unter dem muntern Geklingel der Schellen auf der Straße dahin; es war nicht zu kalt, die dichten zottigen Bärendecken hielten die Füße warm, der Ungarwein tobte mir in den Adern und so überkam mich allmählich ein Gefühl traumhaften Behagens, das ich nicht so recht zu definiren vermochte. Mein Blick irrte von Sternbild zu Sternbild, ich lauschte auf das gedämpfte Bellen der Hunde in den Dörfern abseits der Straße und auf das Schnauben und Wiehern unserer Pferde, und dazwischen hinein auf das theilweise in ungarischer Sprache geführte Geplauder der beiden schönen Menschenkinder mir gegenüber. Curt sprach das Ungarische nur nothdürftig und gebrochen, er hatte noch nicht lange mit der Erlernung dieser Sprache begonnen, die Leontine gleichzeitig mit dem Deutschen spielend erlernt hatte, und seine Sprachfehler und sein Suchen nach Ausdrücken schienen das schöne Mädchen, das sich dicht und vertraulich an ihn geschmiegt hatte, umsomehr zu belustigen, je mehr sie gewohnt war, in dem Geliebten den Inbegriff alles Wissens zu sehen und bewundernd zu ihm emporzuschauen. Ueber Curt kam mit der Zeit eine fast wilde Lustigkeit und er meinte zuletzt: „Ich halte das Sitzen nicht mehr aus, ich muß ein Stück laufen, damit ich müde werde!“ und damit hatte er auch den Mantel abgeworfen und war aus dem Schlitten gesprungen, ohne zu fallen oder auch nur zu taumeln, und rief dem Kutscher zu: „Weiter fahren!“ Die Pferde waren im scharfen Trab, er blieb aber nicht zurück und folgte uns dicht, mit dampfendem Athem, leuchtenden Augen und von der Kälte gerötheten Wangen. Es war ein Vergnügen, ihn in der knappen, blauen Montur mit dem kirschrothen Sammtkragen laufen zu sehen, leichtfüßig wie ein Reh, ein wenig nach vor gebeugt, die Hände in den Hüften und als er endlich doch zu ermüden begann, eilte er vor an die Seite des Schlittens, voltigirte mit vollendeter Eleganz über die Seitenwand, als sei er auf dem Turnplatz und steckte seine Hand in scherzender Zärtlichkeit in den Muff der momentan überraschten Geliebten, die dem Kutscher eben hatte sagen wollten, daß er halten möge.

„Gleich darauf gewahrten wir rechts von der Straße einen Schlitten und der laute Knall der um den Kopf des Lenkers geschwungenen Peitsche unterbrach die tiefe Stille der Nacht. Wir passirten gerade eine Kreuzung der Straße, als der Schlitten dicht vor uns blitzschnell in dieselbe einbog und dem Insassen eben nur Zeit ließ, uns ein höfliches: „Servus! Und viel Vergnügen noch, meine Herrschaften!“ zuzurufen. Er hatte uns dabei das Gesicht zugewendet und das Mondlicht fiel voll auf seine Züge; es war einer von den sogenannten „bildschönen“ Männern, herkulischer Bau, breite Schultern, krauses Haar, verwegner Schnurrbart und ein weniger edles als energisches Gesicht. Was war das aber gewesen? Hatten die Worte des fremden Offiziers – er trug die Ulanenuniform – nicht einen eigenthümlich spöttischen, ja höhnischen Beigeschmack gehabt, der vielleicht gerade in der übertriebenen Höflichkeit der Begrüßung lag? Geirrt hatte ich mich nicht – Curt hatte nichts erwidert, sondern nur nachlässig an die Mütze gegriffen, sein Gesicht aber war mit einem male finster, fast drohend geworden und drückte eine tiefe, instinktive Abneigung aus. Ich sah Leontine unwillkürlich fragend an – kannte auch sie den Offizier? Auch sie schien unangenehm berührt von der Begegnung; die feinen Brauen zogen sich auf einen Moment zusammen und sie sah ganz aus, wie jemand, der unerwartet auf eine Natter getreten ist – ein unwillkürliches Erschrecken, ein an Ekel streifender Widerwille prägten sich in ihrem Gesicht aus und ein bitterer Zug lagerte sich um den schönen Mund. Aber das alles war ebenso blitzschnell verschwunden, als es gekommen, und als sie sich gleich darauf lächelnd mit einer gleichgültigen Frage an Curt wendete, fragte ich mich allen Ernstes, ob ich mich nicht getäuscht. Curt schien entschlossen, den unangenehmen Eindruck von sich abzuschütteln, er beantwortete meinen fragenden Blick durch ein kaum merkliches Kopfschütteln und ein rasches Blinken der Augen und erklärte Leontine ein schönes Sternbild, auf das sie ihn aufmerksam gemacht hatte, in so unbefangenem Tone, daß ich anfing, zu glauben, ich sei nervös überreizt und infolge dessen geneigt, Gespenster zu sehen.

„Aber ich hatte nur zu richtig beobachtet. Wir waren in der Nähe der Kettenbrücke angelangt, als der Schlitten hielt; Leontine stieg rasch aus, reichte erst mir, dann Curt die Hand, und flüsterte: „Auf Wiedersehen – gute Nacht!“ und war im Nu in einem Seitengäßchen verschwunden. Wir fuhren bis vor Curts Wohnung und er fragte in so zuversichtlichem Tone: „Sie nehmen doch noch eine Tasse Thee bei mir?“ daß ich, obgleich recht müde, schweigend einwilligte.

„Der heiße Thee war bereits getrunken, als ich meinem jungen Freund, dem man es ansah, daß ihm die Frage nach meiner Unterredung mit Leontine nicht über die Lippe wollte, wenigstens insofern zu Hilfe kam, als ich fragte:

„Sie kannten den Offizier, der uns auf der Chaussee vorfuhr? Er scheint Ihnen durchaus nicht sympathisch zu sein?

„Die Antwort klang recht übellaunig. ‚Graf Borkiewicz, von den Ulanen, ein Wasserpolake aus der teschener Gegend – der ärgste Mädchenjäger in Prag – ein ganz gewissenloser, seichter und frivoler Kunde, über dessen Leben und Treiben ich zu viel weiß, um ohne Widerwillen an einem Tische mit ihm zu sitzen. Um so fataler ist es mir, daß er sich mit seiner falschen glatten Sarmatenhöflichkeit überall an mich herandrängt, fest entschlossen, wie es scheint, meine kühl ablehnende Haltung nicht zu bemerken. Wir beiden sind unverträglich wie Feuer und Wasser und wenn ich ihn nur von fern sehe, habe ich stets das bestimmte Vorgefühl, daß wir früher oder später einmal hart aneinander geraten. Es erbittert mich, daß es sich nicht abschrecken läßt und so oft er sich mit seinem süßlich-faden Lächeln an mich wendet, habe ich jederzeit gute Lust, ihn mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, damit endlich einmal reine Wirthschaft zwischen uns werde.“

„Ich glaubte nun dem Geheimnis auf der Spur zu sein; der polnische Don Juan hatte sich Mühe um Leontine gegeben, war vielleicht sogar zudringlich gegen sie geworden, Curt hatte das von ihr erfahren und haßte ihn, wie energische Männer eben den zu hassen pflegen, der ihnen ins Revier kommt, und reizbare den, der von der Frau, für die sie schwärmen, eine geringere Meinung zu haben wagt. Ich sagte also mit einem vielleicht etwas ironischen Lächeln:

„Sollte das wirklich der einzige Grund Ihrer Abneigung sein? Sollte Ihnen der Herr Ulan nicht in einem konkreteren Falle Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben haben? Aber Curt wollte mich nicht verstehen oder er verstand mich wirklich nicht, denn sein: „Das ich nicht wüßte – es wären dann auch ganz gewiß Späne geflogen!“ klang so unbefangen und aufrichtig, daß ich wieder irre wurde. Ahnte er nichts davon, daß Leontine den Verhaßten kannte, war ihm ihre unmuthige Bewegung bei der Begegnung mit demselben entgangen? Jedenfalls wünschte ich mir Glück dazu, nicht mit der Thür ins Haus gefallen zu sein und beschloß, meine Wahrnehmung, die mir ja selber ein Dorn im Fleische war und die immerhin ein Irrthum sein konnte, fein vorsichtiglich für mich zu behalten, statt vielleicht ohne alle Noth Öl ins Feuer zu gießen. Wenn ich erst noch ein wenig sondierte, ergab sich vielleicht eine andere und weniger bedenkliche Erklärung für jene Wahrnehmung. Nach einer kurzen Pause fuhr ich denn in wirklichem Mitleid mit der Spannung, in der der junge Mann sich befand, in möglicherweise etwas erkünsteltem Enthusiasmus fort:

„‚Was kümmert uns übrigens heute der Ulan? Sie wollen wissen, wie mir Ihre Geliebte unter vier Augen gefallen hat, und da kann ich wohl weiter nichts thun, als Ihnen von Herzen Glück wünschen; Sie sind ein richtiges Sonntagskind und haben da ein großes Loos gezogen.‘

„Meine Worte machten Curt sichtliche Freude – seine Augen blitzen auf, aber mit der Feinfühligkeit, die ich schon so oft an ihm bewundert hatte, sagte er gleich darauf:

‚Etwas weniger wäre wohl mehr gewesen!‘

„Ich wollte mich aber nicht werfen lassen, war auch schon zu weit gegangen und fuhr also eifrig fort:

„‚Wissen Sie, daß mir das viel, viel zu kühl klingt? Ganz gewiß sind Sie um dieses Mädchen zu beneiden, das allen Adel einer in sich gefestigten Frauennatur mit dem Reiz des frischen Naturkinds verbindet. Ich will einmal ganz von ihrer eigenartigen Schönheit absehen, in der sich der polnische und der deutsche Typus aufs glücklichste mischen und die dann doch noch ihren ganz individuellen Tik hat, aber sie hat jedenfalls ebensoviel Herz als Verstand und Charakter –‘“

„Während der Charakter der meisten Frauen darin besteht keinen zu haben – sehr richtig, aber was wollen Sie mir damit neues sagen?“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_46_41.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)