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Der Maler hielt inne und musterte mit einem gewissen Mißtrauen die Mienen seiner Zuhörer; er suchte förmlich nach einem ironischen Lächeln, aber seine jungen Freunde blickten in Gedanken vor sich nieder und schienen gar nicht daran zu denken, daß der Enthusiasmus des Erzählers eine komische Seite haben und ihm gelegentlich als sträfliche Sentimentalität angerechnet werden könne. Die gespannte und umwölkte Miene Reinisch’s löste und lichtete sich bei dieser beruhigenden Wahrnehmung wieder und in verändertem, aber gleichmäßigen Tone fuhr er fort:

„Das war also die Unterredung, bei der ich mindestens ebenso dilatorisch behandelt worden bin, wie seiner Zeit Benedetti vom Grafen Bismarck. Ich war keineswegs beruhigt, wie ihr euch denken könnt, sondern eher ernstlicher beunruhigt, als vorher und ich hätte fast wünschen mögen, das seltsame Mädchen hätte mir weniger imponiert – es würde mir dann eher eine Hoffnung geblieben sein, ihre leidenschaftliche Liebe zu Curt, die sich so wohlthuend geäußert, werde alle die Dämme durchbrechen und fortreißen, die sie selber aufgeworfen, sie werde in einer Stunde weicher Zärtlichkeit der Beredsamkeit Curts erliegen und all ihre Trennungsvorsätze vergessen. Um diese Hoffnung war es nun herzlich schlecht bestellt. Sie gehörte augenscheinlich nicht zu den Frauen, die vom Augenblick bestimmt werden und die nur auf den Augenblick warten, in dem sie sich mit guter Manier ein ‚Ja‘ abschmeicheln, abdringen, abtrotzen, ja abzwingen lassen können, und die innerlich ganz damit einverstanden sind, daß ihr Widerstand gebrochen wird, vorausgesetzt nur, daß sie sich zu ihrer Rechtfertigung und Entschuldigung auf die Schwäche ihres Geschlechts überhaupt oder auf eine momentane Schwäche und auf die Leidenschaft und Energie des Willens berufen können, der ihnen entgegenstand. Ich hätte Curt so gern ein günstigeres Horoskop gestellt, aber worauf sollte ich ihn noch vertrösten? Daß steter Tropfen einen Stein höhle und daß Leontine’s Herz sicherlich kein Stein sei? Das war ja an sich ein ganz guter Satz, ein Satz, der Hände und Füße hatte, aber das Mädchen hatte mir eben einen heillosen Respekt eingeflößt. Ich hätte sie vielleicht überspannt oder exzentrisch nennen können, aber auch das wollte nicht verfangen; in allem, was sie gesagt, war zu viel gesunder Verstand gewesen und exzentrische Naturen haschen nach starken und ungewöhnlichen Ausdrücken, statt schlicht und einfach zu sagen, was sie denken und fühlen. Sie war mir ein Räthsel, wie sie ein Räthsel für Curt war, und wie sollte das alles noch enden? Um hundert andere Männer wäre mir keine Sekunde bange gewesen, und ich hätte lachend die Achseln gezuckt, aber was die einen wie eine Flaumfeder fortblasen, zerdrückt dem anderen mit Centnerlast das Herz, und es überfiel mich wie eine Regung schmerzlichen Mitleids, als Curt wieder ins Zimmer trat; er warf mir nur einen Blick zu, aber in diesem einen Blick lag eine sorgenvolle, ungeduldige Frage und – ich konnte ihm nicht mit froh-listigem Augenzwinkern zunicken, wie er es doch vielleicht hoffte. Jedenfalls ließ er sich nichts von einer etwaigen Enttäuschung merken, sei es nun, daß seine Hoffnung eine ganz vage und von ihm selber bestrittene gewesen, sei es, daß er schon bei jener müden Resignation angelangt war, welche die Hände in den Schoß legt und die Dinge gehen läßt, wie sie mögen. Mit der Fassung und Standhaftigkeit, die ich schon manchesmal an ihm bewundert hatte, zeigte er uns ein ruhiges, beinahe vergnügtes Gesicht, erzählte lebhaft und humoristisch von den Schrullen und Wunderlichkeiten des erzbraven alten Forstmanns, der recht eigentlich einen Narren an ihm gefressen habe, und veranlaßte dadurch auch Leontine, von ihrem Vater und mancherlei Orginalen unter seinen Berufsgenossen zu erzählen, mit Frische und Anschaulichkeit und jenem feinen Sinn fürs Komische, der ja schon bei den kleinsten Schulmädchen mehr entwickelt zu sein pflegt, als bei viel älteren und gereifteren Knaben. War das noch dasselbe in allen Tiefen der Seele aufgewühlte Mädchen von vorhin? Vor einer halben Stunde melancholisch und tiefernst und nun das Urbild graziöser Laune, der es sogar an einem Zuge von Uebermuth und Neckerei nicht fehlte – auf welche Elastizität des Geistes oder welche übermenschliche Kraft der Selbstüberwindung ließ dieser Wechsel schließen! Die beiden einander so wahlverwandten Menschen, die man sich kaum mehr getrennt denken konnte, wenn man sie nebeneinander gesehen, neckten sich zuletzt in so feiner und liebenswürdiger Weise, daß mir die ganze Unterredung mit dem Mädchen wie ein beklemmender Traum erscheinen wollte, wenn mir auch im nächsten Augenblick der Gedanke kam, der rastlose Wechsel zwischen solchen Stunden und denen des fragenden Blicks in die Zukunft müsse endlich das widerstandsfähigste Nervensystem rettungslos zerrütten. Unter dem Einfluß dieses Gedankens kam mir auf einmal Curts Heiterkeit gemacht, erkünstelt und forciert vor oder mindestens überreizt; dem Mädchen, das ich allerdings

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Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 541. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_46_40.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)