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leichtes Lächeln nicht unterdrücken konnte. Dieses Lächeln wurde von der jungen Dame aufgefangen, deren schöne blaue Augen überall zugleich zu sein schienen, und es mochte wohl für die blauen Augen etwas Ironisches haben, denn sie rief ihm lachend zu:

„Sie finden die Cigarre gut, und da mein Bruder nicht raucht, finden Sie, daß dieser Umstand tief blicken läßt, — hab’ ich’s errathen?“

Reinisch begnügte sich mit einer zustimmenden Neigung des Hauptes und einem artigen: „Das war allerdings mein Gedanke, — aber auch ich füge hinzu: Hony soit qui mal y pense.

„Soll das auch gelten, wenn ich mir nun selber eine Cigarette nehme? Man hat in Deutschland ein Vorurtheil gegen das Rauchen der Damen, ich hoffe aber, die Herren sind frei von demselben.“

Sie waren es so sehr, daß Wendt sich beeiferte, die Cigarette, die von Tatjanas weißen Perlenzähnchen gehalten werden sollte, selber zu drehen, und vor lauter Eifer zweimal nur eine unförmliche Wurst zustande brachte, und daß Born, als endlich ein erträgliches Exemplar gelungen war, es sich nicht nehmen ließ, das Wachshölzchen zu halten, welches die Cigarette in Brand setzte.

Der Maler war inzwischen, als wäre es seine Aufgabe, nach allen Richtungen zu rekognoszieren, in den Salon getreten, wo er die auf dem runden Tisch ausgebreiteten Bücher musterte und die Musterung sogar auf den größeren oder geringeren Grad von Benutztsein ausdehnte. Er nahm sich Zeit dabei und ging sehr gründlich zu Werke, als lerne er so die Dame und ihren Werth am leichtesten, schnellsten und sichersten kennen; die Musterung amüsierte ihn übrigens sichtlich, er kehrte fast aufgeräumt ins Theezimmer zurück, und es lag viel Humor in dem Blick, der auf seinen Freunden und dem schönen Mädchen in ihrer Mitte ruhte.

Es geschah sehr planmäßig, daß Reinisch sich fortan fast ausschließlich mit der Mutter und ihrem melancholischen, ersichtlich leidenden Sohn beschäftigte, obgleich er der ersteren jedes Wort förmlich abkaufen mußte und große Mühe hatte, sie aus ihrer schläfrigen Apathie aufzurütteln, während der letztere augenscheinlich unter einem moralischen Drucke litt und es nicht recht wagte, aus sich heraus zu gehen. Tatjana sah in dieser Artigkeit gegen ihre Verwandten einen Mangel an Bewunderung für ihre Schönheit, den sie dem Maler zu allerletzt verzieh, und ihre verletzte Eitelkeit äußerte sich in dem Versuch, ihn durch eine kleine List an ihre Seite zu bringen und ihn dann um jeden Preis an diese Seite zu bannen. Sie bat um sein sachverständiges Urtheil über eine Camee, die ihr als Brosche diente, und das Lächeln, mit welchem sie den Maler neben sich Platz nehmen sah, hatte etwas so Verführerisches, daß sie sich wohl beleidigt fühlen durfte, als er glatt und verbindlich blieb, ohne warm zu werden, und die erste sich bietende Gelegenheit benutzte, an seinen alten Platz zurückzukehren. Es war nur ein blitzschneller, staunender Blick, der zu ihm hinüberflog, als sie ihn vermißte, aber er genügte, dem Maler zu sagen, daß sie in hohem Grade pikirt war und daß er den Huldigungen seiner jungen Freunde ein fühlbares Gegengewicht gegeben hatte, - und er lächelte still in sich hinein und seine scharfen Augen gewahrten auch auf den Lippen des jungen Russen ein feines, kaum merkliches Lächeln, das ihm eine ironische Befriedigung auszudrücken schien.

Von diesem Augenblick an sah sich Reinisch ignorirt und Tatjana schien ihren ganzen Ehrgeiz daran zu setzen, wenigstens seinen Freunden die Köpfe vollständig zu verdrehen. Es hatte ganz den Anschein, als solle ihr dies gelingen; sie nöthigte Born an den Flügel, und der arme Dramendichter hatte seine mozartsche Sonate vielleicht nie besser gespielt, als unter den Augen der slawischen Sirene, deren weiße Hände mit den schlanken Fingern ihm das Notenblatt umwendeten und die sein Spiel wahrhaft hinreißend fand. Sie ließ sich bewegen, ebenfalls eine Probe ihrer Kunstfertigkeit zu geben, doch stellte ihre Wahl — Wagners Walkürenritt – ihrem musikalischen Gefühl kein besonderes Zeugniß aus, und auch ihr Spiel erwies sich als erschreckend schülerhaft, was nach Borns trefflichem, durchgeistigten Spiel doppelt auffallen mußte, wofür sie aber, wohl durch die Schmeicheleien ihrer Bewunderer verwöhnt, nicht das geringste Gefühl zu haben schien. Lindner, der über eine kleine, aber recht hübsche, ungeschulte, aber sympathische Tenorstimme verfügte, ließ sich bewegen, einige kärntnische Volkslieder zu singen; als er dann die Bitte um einige russische Volkslieder wagte, sah er sich zu seiner Verwunderung an den Bruder verwiesen; Tatjana selber erklärte sich außer Stande, auch nur die einfachste Weise annähernd richtig wiederzugeben. Arvenberg schloß sich nicht aus; er trug Lenaus „Die Stimme des Windes, die Stimme des Regens, die Stimme der Glocken und die Stimme des Kindes“ mit all der diskreten Tonmalerei vor, die den Hauptvorzug seiner Recitationen ausmachte, und Tatjana sah sich dadurch veranlasst, Heines „Die Blume der Brenta“ und „Die Wallfahrt nach Kevlaar“ zu lesen; anfänglich erschien die Dämpfung ihrer Stimme auffällig, bald aber erkannte man, daß dieselbe ihre guten Gründe hatte, denn überall, wo sie einen Versuch machte, den Ton im Affekt zu heben und zu verstärken, schlug er um und bekam etwas Schrilles, Schnarrendes, das alle Illusion zerstörte. Wendt wollte nicht absolut stumm bleiben – nach langem Suchen entschied er sich für eines der „Nordseebilder“, brach aber inmitten mit der Erklärung ab, es gehe doch nicht, seine Heiserkeit sei zu arg; von dieser Heiserkeit hatte aber vorher keine Seele gewußt und sie sollte wohl auch nur die ihm tagende Erkenntniß maskiren, daß er als Vorleser durchaus keine vortheilhafte Rolle spiele.

Es wurde so spät, recht spät; jedem Versuch, das Zeichen zum Aufbruch zu geben, setzte Tatjana die Versicherung entgegen, daß sie nie vor 2, 3 Uhr zur Ruhe käme und dann bis 11 zu schlafen pflege. Dem Thee waren die feinen Liköre gefolgt und Born war unter dem Einfluß derselben allmählich in den Besitz eines sehr rothen Kopfs und einer dichterischen Begeisterung gelangt, die des Alleinseins bedurfte, um sich in halblautem Selbstgespräch auszutoben. Da auch für Lindner das Stadium herangekommen war, in dem er leicht melancholisch wurde, trieb Reinisch ernstlich zum Aufbruch, der denn auch endlich erfolgte. Tatjana ließ sich versprechen, daß die Herren sie recht bald einmal wieder beehren würden – ohne Ceremonie – und sie stattete Wendt beim Scheiden ihren Dank dafür, seine Freunde zu ihr gebracht zu haben, in so freundschaftlicher Weise ab, daß er ganz hingerissen war und der Versuchung nicht widerstehen konnte, seine Lippen auf ihre weiße Hand zu drücken, was sie auch mit einem Lächeln geschehen ließ – mit einem Lächeln, in dem allerdings herzlich wenig Ermuthigung für eine Bewerbung lag, das vielmehr sagen zu wollen schien: „Meinetwegen, dir wunderlichen Kauz muß man in so vorgerückter Stunde schon etwas zu gute halten.“

Tatjana hatte jedem ihrer neuen Freunde die Hand gegeben, nur Reinisch bildete eine Ausnahme und mußte sich mit einer Verbeugung begnügen, die einen starken Beigeschmack von Herablassung hatte.

Man ging, nachdem man das Haus verlassen und Wendt noch einen letzten schmachtenden Blick nach den erleuchteten Fenstern geworfen hatte, — das ganze übrige Haus lag bereits in tiefem Dunkel, — eine Weile schweigend nebeneinander her, bis endlich unser verliebter Jurist in überströmendem Gefühl ausrief:

„Die ewigen Sterne will ich nicht anrufen, das wäre geschmacklos, aber sagt einmal ehrlich, ist sie nicht ein wunderbares, reizendes Geschöpf?“

Man pflichtete ihm von allen Seiten bei.

Born meinte:

„Diesmal, Wendt, hatten Sie eher zu wenig, als zu viel gesagt; darauf war ich nicht gefaßt.“

Lindner sagte nachdenklich und ernst, als sei jedes Wort von Wichtigkeit:

„Da heißt es in der That, die Ohren steif halten und sich nicht verplempern.“

Arvenberg endlich, der Jünger Schopenhauers, glaubte Tatjanas Reiz nicht würdiger schildern zu können, als durch ein Citat aus seines Meisters Werken:

„In der That ein Knalleffekt der Natur!“

Reinisch verhielt sich schweigend, sodaß Wendt, fast überrascht und beleidigt, fragte:

„Und Sie? Sind Sie dermaßen überwältigt, daß Sie keine Worte finden? Oder liegt Ihnen so viel an den sechs Flaschen Marcobrunner, daß Sie ihretwegen ungerecht und unwahr werden? Sie können doch nicht leugnen, daß Tatjana Walujeff ein Meisterwerk des Schöpfers ist, gleich ausgezeichnet durch Schönheit, Anmuth und Geist?“

Reinisch schien nicht recht mit der Sprache herauszuwollen, nicht recht zu wissen, wie das Urtheil zu formulieren sei, um nicht Anstoß zu erregen, er meinte endlich ausweichend:

„Nun ja, Sie dürfen Ihren Verlobungs-Marcobrunner behalten, ich würde doch überstimmt werden.“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_43_32.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)