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Im anstoßenden Zimmer war inzwischen der Thee servirt worden und man gerieth in ein lebhaftes Geplauder, das allerdings fast ausschließlich von dem schönen Mädchen und ihren Gästen unterhalten ward; ihr Bruder verrieth nur zuweilen durch eine ziemlich zaghafte Bemerkung, daß er der Unterhaltung folgte, und die Versuche unserer jungen Freunde, ihn und seine Mutter ins Gespräch zu ziehen, hatten nur wenig Erfolg. Tatjana schien das alles kaum zu bemerken und gewohnt zu sein, ihre Angehörigen als reine Statisten zu behandeln, auf die niemand Rücksicht zu nehmen brauchte; dem scharfen Auge des Malers entging es jedoch nicht, daß der junge Mann seine Rolle zwar kannte, aber innerlich gegen dieselbe revoltirte und sich über die Rolle der liebenswürdigen und aufmerksamen Wirthin, welche seine Schwester so meisterlich spielte, heimlich mokirte. Das kaum merkliche, ein wenig spöttische, sogar ein wenig verächtliche Lächeln, welches zuweilen um seine Lippen irrte, schien dem Maler zu sagen: „Da übt sie nun wieder einmal die alten Künste an neuen Objekten! Sie sollte sich eigentlich ein wenig vor mir geniren, denn ich habe das doch schon hundertmal mit angesehen und für mich wird’s nachgerade langweilig.“

Das schienen nun freilich die neuen Objekte nicht zu empfinden; für sie hatte der Abend ersichtlich einen ganz undefinirbaren Reiz. Der blitzende silberne Samowar summte so gemüthlich, der Thee duftete so ganz anders, als die charakterlose Brühe, die man in Deutschland in der Regel vorgesetzt bekommt, und das schöne blonde Geschöpf, das mit dem Anstand der Fürstin allen Liebreiz des jungen Mädchens und mit der Eleganz der Weltdame den Ernst der denkenden Frau zu verbinden schien, war für alle eine neue Erscheinung. Sie hatte zudem für jeden ein verbindliches Wort, sie interessirte sich für jedes Hauptbeschäftigung, sie verstand es, den Zurückhaltenden durch Fragen gesprächig zu machen und sie vertheilte ihre Aufmerksamkeiten mit so gewissenhafter Unparteilichkeit, daß sich jeder für den Bevorzugten, keiner für den Vernachlässigten halten konnte. Eine ganz leichte Auszeichnung widerfuhr höchstens Wendt; er wurde mit einer gewissen vornehmen Vertraulichkeit behandelt, die ja ganz in der Ordnung war, da er als älterer Bekannter gelten konnte, die aber genügte, jedes juristische Fältchen in Wendts Gesicht zu glätten und dieses Gesicht in ein vollständig strahlendes zu verwandeln.

Nach dem ersten Glase Thee schon präsentirte Tatjana Cigarren und sie präsentirte sie Wendt zuerst; er wollte sich zieren, aber sie sagte artig: „Sie haben heute eine Bevorzugung verdient; Ihnen allein verdanke ich die Bekanntschaft so vieler geistreicher Männer. Ich bin noch nicht lange genug in Deutschland, um nicht in eine gewisse Verwirrung zu gerathen über einen solchen embarras de richesse – denken Sie nur, ein Künstler, ein Naturforscher, ein Bühnendichter und ein Kritiker, die sämmtlich eine Zukunft haben und die so gütig sind, ihre werthvolle Zeit einer unwissenden Ausländerin zu widmen!“

Man protestirte lebhaft gegen die „unwissende Ausländerin“, außer Wendt, der geradezu aus der Haut fahren wollte, besonders Born, der eifrig nach seinen Dramen befragt worden war und das Versprechen hatte abgeben müssen, eins derselben recht bald einmal vorzulesen. Auch Lindner, dem die naturwissenschaftlichen Fragen der jungen Dame allerdings ausschweifend naiv erschienen waren, der aber die Versicherung erhalten hatte, daß ihm von einem ihrer Freunde in der Krim, dem Grafen Ratoboroffsky, in nächster Zeit eine ganze Kollektion Schmetterlinge und Käfer zugehen würde, um die sie sofort schreiben werde, konnte eine solche Verkennung des eignen Wissens und Strebens nicht stillschweigend hinnehmen, und selbst Arvenberg sah sich zu der verbindlichen Bemerkung gezwungen:

„Gnädiges Fräulein, Sie sind viel zu geistreich, als daß man Ihnen gestatten könnte, durch eine solche übertriebene Bescheidenheit zum Widerspruch, d. h. zu Komplimenten herauszufordern! Das müssen Sie schon andern überlassen, die es nöthig haben.“

Wenige Minuten vorher erst hatte sie sich, als er sein Bedauern darüber aussprach, ein bestimmtes gegittertes französisches Briefpapier, an das er sich seit Jahren gewöhnt, trotz alles Suchens in keiner Papierhandlung mehr auftreiben zu können, in liebenswürdigster und zuversichtlichster Weise anheischig gemacht, ihm dasselbe zu verschaffen; es könne allerdings ein paar Wochen dauern, falls sie nach Paris schreiben müsse, und sie erwarte am nächsten Tage eine Probe dieses Papiers von ihm.

Nur der Maler hatte sich ziemlich passiv verhalten und sich aufs Beobachten gelegt, und zwar nicht blos aufs Beobachten des schönen Mädchens, sondern auch auf das seiner jungen Freunde. Als das japanische Körbchen mit den Cigarren an ihn gelangte, hatte er dieselben sehr genau betrachtet; ihr Aeußeres war ein so vertrauenerweckendes, daß er, als die an den Bruder Tatjanas gerichtete Frage, ob er nicht rauche, verneint ward, ein

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Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_43_31.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)