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Ich hätte mir diese Erwägungen sparen können und all’ die vorsichtigen Verklausulierungen meiner Bedenken dazu. Curt hörte mich höflich und geduldig, aber mit der Miene eines Zerstreuten und Gelangweilten an und sagte, als ich geendet, mit einer Sicherheit, die meiner eignen Unsicherheit zu spotten schien:

„Und Sie meinen also wirklich, das seien sehr scharfsinnige Bemerkungen und für mich ganz neue Gesichtspunkte? Wirklich, ich habe Sie für erheblich geistreicher gehalten und geglaubt, daß Sie so gütig sein würden, mir auch ein klein wenig mehr Geist zuzutrauen. Ich habe, seit ich dem Mädchen in die räthselhaften Augen gesehen, Tag und Nacht fast nichts gethan, als über sie nachgedacht, und sie hat mir in einer ganzen Reihe von höchst interessanten und merkwürdigen Briefen, welche dem durch die Stunden des Beisammenseins nicht befriedigten Mitteilungsdrang genüge thun mußten, gerade genug Material geliefert – glauben Sie, ich sei nicht auch gelegentlich über den Gedanken an einen dunklen oder wunden Punkt gestolpert? Aber das alles ist nichts als nichtiges Kombiniren und ins Blaue hinein Rathen; ich kenne Leontine, und ich sage Ihnen, es ist eine moralische Unmöglichkeit, daß derartige Erlebnisse ihren Seelenfrieden stören und den Widerspruch in ihre Liebe zu mir bringen. So fest bin ich davon überzeugt, daß ich meinen Kopf zum Pfande setze, auch Sie werden dem Mädchen, nachdem Sie eine Stunde mit ihr geplaudert haben, Ihren Verdacht im stillen abbitten und sich vorwerfen, durch denselben beinahe so etwas wie eine kleine Nichtswürdigkeit begangen zu haben.“

Ob mein Gesichtsausdruck dieser Versicherung doch eine gewisse Skepsis entgegensetzte? ob Curt schon vorher halb und halb entschlossen war, meine Vermittlung in Anspruch zu nehmen? Ich weiß es nicht; jedenfalls fragte er, ob ich es nicht darauf ankommen lassen wollte; ich würde ihm einen großen Freundschaftsdienst erweisen, wenn ich mich als sein Gesandter in offizieller Mission zu ihr begeben und den Versuch machen wollte, aus ihr herauszubringen, was sie veranlasse, allen seinen Anspielungen auf eine eheliche Verbindung ein fast ängstliches Abwehren entgegenzusetzen, und die Bitte, sie nicht zu quälen, sondern alles der Zeit zu überlassen.

Ich nahm den eigenthümlichen Vorschlag mit sehr gemischten Empfindungen auf. War ich auch von Herzen gern erbötig, alles nur Ersinnliche für meinen jungen Freund zu thun, lockte es mich auch mächtig, die persönliche Bekanntschaft meiner schönen und nach dem Urtheile des ganzen Hauses völlig unnahbaren Nachbarin zu machen, so stieß ich mich denn doch an die „offizielle Mission“ und hatte dessen und meiner Befürchtung, dieselbe werde sehr resultatlos verlaufen, kein Hehl.

Damit erzielte ich freilich weiter nichts, als daß Curt laut auflachte, so überaus drollig kam es ihm vor, daß ich in aller Unschuld die „offizielle Mission“ für baaren Ernst genommen hatte; ich lernte später einsehen, daß diese Heiterkeit eine sehr berechtigte war und daß ich mich einer großen Naivetät schuldig gemacht hatte. Curt bat mich, rasch wieder ernst werdend, wegen seines Gelächters um Vergebung; ich könne ja nicht wissen, daß er nur gescherzt, und wie komisch der Gedanke für ihn sei, einem andern zu seiner Geliebten zu schicken, damit er ihr womöglich eine Einwilligung ablocke, die sie ihm verweigere. In Wirklichkeit müsse eine passende Gelegenheit abgewartet werden und dann wolle er versuchen, ob er mich unter einem unverfänglichen Vorwand mit Leontine allein lassen könne; mir müsse es nachher überlassen bleiben, ob ich einen passenden Anknüpfungspunkt für ein Gespräch fände, das mir die gewünschten Aufschlüsse liefere. Daß ich dem Mädchen gegenüber keinen faux pas begehen und ihr Feingefühl nicht verletzen würde, wisse er; damit mache er mir übrigens noch nicht einmal ein Kompliment, denn so empfindlich sie sei, so unfehlbar flöße sie auch jedem, mit dem sie eine Viertelstunde gesprochen, die Ueberzeugung ein, einer Dame gegenüberzustehen, und er schlage instinktiv den Ton an, auf den sie Anspruch erheben dürfe.

Die passende Gelegenheit hat sich gegeben, wenn auch nicht gleich; ich habe mit Leontine Lux gesprochen, sogar eingehend, fast vertraulich gesprochen, und meine vorgefaßten Meinungen über sie erfuhren durch diese Unterredung eine einschneidende Korrektur, aber – ich denke doch, wir heben uns diese Begegnung für den nächsten Abend auf: es wird für heute wahrhaftig zu viel und ich bin müde.“

Die Zuhörer waren geteilter Meinung; Wendt und Born stimmten für Fortsetzung, Lindner fand, es sei genug für einen Abend und man könne sich das bisher Gehörte erst einmal in Ruhe überdenken, und Arvenberg spottete:

„Sie erwarten doch nicht, daß ich mich durch diesen ganz gewöhnlichen Erzählerkniff täuschen lasse? Sie wollen uns „scharf“ machen und brechen da ab, wo ihre Erzählung interessant werden will und der prickelnde Reiz der Neugierde zu wirken beginnt.

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_42_28.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)