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wenig der Rath des Erfahrenen und durch eigenen Schaden Gewitzigten der raschen Jugend gilt und wie wenig er ihr nützt, aber vielleicht hatte sich Curt in eine von den Sackgassen verrannt, in denen es für den Kenner des Weltlaufs und der Menschenherzen immer noch ein Pförtchen gibt, durch das ein wohlbehaltenes Entschlüpfen ermöglicht wird – war es nicht die Pflicht des älteren Freundes, ihm den Mund zu öffnen? Aber dann besann ich mich auf mein Versprechen und wartete wieder, überzeugt, daß er schließlich von selber das Schweigen brechen werde; bei der Erregtheit, in welcher er sich befand, lief ich Gefahr, kühl und schroff an unsere Absprache erinnert zu werden.

Eines Abends war er wieder so aufgeräumt und innerlich froh gewesen, wie lange nicht; denkt euch also mein Erstaunen, als ich ihn am andern Abend, ungemeldet bei ihm eintretend (Jehan hatte längst die Weisung, mir gegenüber alle Zeremonien wegfallen zu lassen) im dämmerigen Zimmer in einer Gemüthsverfassung fand, die mich heftig erschrecken mußte. Er hatte den einen Arm auf die Lehne des Divans gelegt und sein Gesicht lag auf diesem Arm; die schlaff niederhängende andere Hand hielt einen Brief und seine Zähne schlugen wie im wildesten Fieber hörbar aufeinander. Unschlüssig blieb ich in der Mitte des Zimmers stehen; Curt gehörte zu den Menschen, die mehr ein Gegenstand der Ehrfurcht, als des Mitleids sind, wenn jeder Nerv in ihnen in leidenschaftlichem Schmerz zittert und zuckt, und ich kannte ihn genug, um mir zu sagen, daß es ihm furchtbar peinlich gewesen wäre, zu wissen, daß ich Zeuge war, wie er unter der Wucht eines Wehs erlag, an dem – eine Frau die alleinige Schuld trug. Ich wollte eben geräuschlos meinen Rückzug bewerkstelligen, als Jehan den Armleuchter mit brennenden Kerzen ins Zimmer brachte; sein schwerer, knarrender Tritt riß Curt aus seiner Versunkenheit empor und wie taumelnd und geblendet starrte er einen Moment in die Helle. Es war ein Moment, aber er währte lange genug, um mich erkennen zu lassen, daß seine Augen und seine Wangen feucht waren von Thränen; im nächsten Augenblick hatte er in Scham und Trotz mit einer raschen Bewegung, deren Geschicklichkeit seiner Geistesgegenwart die höchste Ehre machte, das Gesicht getrocknet und den Brief unter die Bücher und Zeitungen auf dem Tisch geschoben und versuchte nun, mich glauben zu machen, daß er nur eine Viertelstunde habe ruhen wollen und darüber bei der zunehmenden Dämmerung eingenickt sei. Das klang alles so natürlich, so aufrichtig und einfach, daß er vielleicht unter anderen Umständen selbst mich getäuscht hätte; so aber hatte ich genug gesehen und wußte auch, daß ich ihm einen Freundschaftsdienst erwies, wenn ich mit keiner Miene verriet, daß ich einen so tiefen Blick in sein von bitterstem Leid zerwühltes Innere gethan, daß ich Zeuge seiner Schwäche gewesen war, und – wenn ich mich möglichst bald unter irgend einem Vorwand wieder entfernte.

Er machte keinen Versuch, mich zu halten, aber gleich am nächsten Morgen (ich lag noch zu Bett) erhielt ich durch die Stadtpost ein Billetchen, vermittels dessen er mich in Worten, die einen Grad herzlicher waren, als seine sonstigen gelegentlichen Zuschriften, aufforderte, am Nachmittag mit ihm eine Fußwanderung moldauabwärts – nach Königssaal zu – zu unternehmen – „damit wir uns einmal nach allen Richtungen hin aussprechen könnten.“

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Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 470. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_40_24.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)