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Das schien Curt sehr lieb zu sein; er lächelte, als sei ihm ein Stein vom Herzen gefallen und sagte fast aufgeräumt:

„Das ist ja prächtig – nun können Sie mir vielleicht gar den ersten Schritt erleichtern, der vielleicht zugleich der letzte ist. Würden Sie ihrer Wirthin, die ja das Mädchen kennt, vorstellen, daß ein achtbarer junger Mann aus guter Familie sich ernstlich für das einsame Kind interessire, sie kennen zu lernen wünsche und doch nicht mit der Thür ins Haus fallen möge, auch in unverfänglicher Weise sich darüber orientiren möchte, ob sie mehr als blos schön sei und ihr deshalb ein Theaterbillet in die Hände zu spielen beabsichtige, um den Platz neben ihr sich sichern und während der Zwischenakte ein Gespräch mit ihr anknüpfen zu können? Anonyme Zusendung würde voraussichtlich nichts nützen und bei dem ganzen kleinen Plan sei doch gewiß nichts unehrenhaftes und nichts, was sie nicht vor Gott und Menschen verantworten könne; doch – das wissen Sie alles besser als ich, und ihre Wirthin für den harmlosen Plan zu gewinnen, wird Ihnen ein leichtes sein. Ich komme natürlich nicht in Uniform, sondern in Civil, um das Mädchen nicht von vornherein stutzig zu machen; daß sie mich kennt, d. h. schon gesehen hat, ist wohl nicht anzunehmen; ich bin ja immer erst in der Dämmerstunde gekommen, und sie sieht wahrhaftig nicht danach aus, ob sie nach zweierlei Tuch ausluge und für eine Offiziersschwärmerei empfänglich sei.“

Die Zumuthung war eine etwas starke, aber Curts humoristisch gefärbte Spannung auf meine Antwort reizte mich, zudem lag mir daran, ihm zu beweisen, daß ich mir das Mädchen völlig aus dem Kopfe geschlagen hätte, und ich willigte ein. Der arme Junge, ich habe ihm einen schlimmen Dienst damit erwiesen!

Ohne weitere Worte drückte er mir dankbar die Hand – mein Eingehen auf seine Idee schien ihn geradezu zu rühren und er rechnete es mir hoch an; er hatte eine hohe Meinung von Männerfreundschaften und jede Handlung, die diese Meinung unterstützte und rechtfertigte, war ihm eine reine Freude.

„Und nun nichts mehr von diesem Argonautenzug nach dem goldnen Vließ,“ sagte er dann; „wer weiß, ob wir wieder darüber reden.“

Und er brachte das Gespräch auf neue doré’sche Illustrationen, die er den Tag zuvor gesehen hatte, und als er mich verließ, mußte ich mich gewaltsam an die einzelnen Phasen unseres Gesprächs über meine Nachbarin erinnern, so geflissentlich war er bemüht gewesen, den Eindruck desselben abzuschwächen und mich auf andere Gedanken zu bringen.

Er schien es auch gar nicht eilig mit der Ausführung seines Plans zu haben, denn mehrere Tage ließ er nichts von demselben verlauten, und es war, als existire das Mädchen gar nicht für ihn. Ich kaprizirte mich andererseits darauf, ihn nicht zu fragen, bis er eines Abends, als wir um die Promenade schlenderten, um nach einem ungewöhnlich heißen Herbsttag die erquickende Nachtkühle zu genießen, von freien Stücken begann:

„Sie wundern sich jedenfalls, daß ich mit dem Eröffnen der Approchen und Parallelen zögere, aber ich wollte erst das Ergebniß der Erkundigungen abwarten, die Linsingen (der lebenslustigste von seinen Kameraden) in den Kreisen unserer „flotten“ Offiziere einziehen wollte. Er selber ist noch nicht lange genug in Prag, um alle Geheimnisse der Kasinos zu kennen, aber er hat überall herumgehorcht und nur günstiges erfahren. Unsere berufsmäßigen Roués kennen sie natürlich und haben in ihrer Weise Jagd auf sie gemacht, aber sie hören nicht gern von ihr reden und werden verdrießlich bei Nennung ihres Namens; der eine hat sie „überspannt tugendhaft“ genannt, der andere als einen „wahrhaften Tugenddragoner“ bezeichnet, keiner aber hat sich gerühmt, auch nur das geringste bei ihr erreicht zu haben. Und sie wissen doch, daß in Bezug auf die Tugend unserer Frauen und Mädchen aller Stände die Offizierskasinos die zuverlässigsten Auskunftsbureaus sind und daß man sich da nicht als durch Diskretion gebunden erachtet.“

Ein paar Tage später brachte er mir das Billet; man gab im deutschen Theater „Donna Diana“ in sehr guter Besetzung. Unser Plan glückte, wie sich das hatte voraussehen lassen. Meine brave Wirthin hatte ein viel zu lebhaftes Interesse für das schöne Geschöpf und eine viel zu hohe Meinung von der Glückseligkeit des unter die Haube Kommens, um nicht bereitwillig die Hand zu bieten und unbedingte Verschwiegenheit zu geloben; sie hätte freilich zur Salvirung ihres Gewissens gern gewußt, wer der vermögende junge Mann mit den reellen Absichten sei und einiges über seine Familienverhältnisse erkundschaftet, aber sie ließ sich auf die voraussichtlich rasche Entwickelung des kleinen Romans vertrösten und konnte ja hoffen, schon nach der Vorstellung zu erfahren, wer der Nachbar des Mädchens gewesen war. Diese aber hatte keinen Grund, das Billet abzulehnen, das meine Wirthin angeblich

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Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 469. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_40_22.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)