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den seine Keckheit bestraft wurde, verhalf ihm zu einer jähen und vollständigen Erkenntniß der Dummheit, die er begangen; es lag so viel Befremden und mitleidiger Spott in demselben und er drückte mit so grausamer Deutlichkeit den Gedanken aus; „Guter Junge, wenn du wüßtest, wie du dich blamirst! Schlaf den Rausch, der dich entschuldigen mag, aus – dann wirst du dich ja wohl auch darauf besinnen, daß du recht albern vor mir gestanden hast“, daß er instinktiv an die Mütze griff, eine Entschuldigung stotterte und nach einer nicht unbedingt korrekten Verbeugung abschob.

Da er im Grunde seines Herzens ein guter Junge war, fiel ihm seine Ungezogenheit am nächsten Morgen mitten in den grausamsten Stadien des Katzenjammers doppelt schwer aufs Herz und er beauftragte meine Wirthin, die irdische Schutzpatronin der beleidigten Schönheit, ihn bei der letzteren mit seinem nicht ganz zurechnungsfähigem Zustand zu entschuldigen. Die junge Dame habe wie eine echte Prinzessin dagestanden und ihn so stolz angeblickt mit den dunklen Augen, daß er sich einen solchen Blick gewiß nie wieder zuziehen würde. Die „Prinzessin“ aber nahm den ganzen Vorfall sehr leicht; als ihr die de- und wehmütige Abbitte des Musenjünglings übermittelt wurde, war es, als müsse sie sich das kleine Rencontre erst wieder ins Gedächtniß zurückrufen; dann erwiderte sie, der junge Mann möge sich nur ja keine Skrupel machen – sie sei dergleichen Vorkommnissen gewachsen und es sei ihr schon schlimmeres passirt, von Leuten, die nicht angetrunken und die auch längst keine Studenten mehr gewesen seien.

Ich alter Knabe sollte eigentlich Bedenken tragen, mir vor euch jungem Volk Blößen zu geben, zumal es mit eurem Respekt vor mir ohnehin ziemlich wacklig aussieht, indessen muß ich, um bei der Wahrheit zu bleiben, wohl gestehen, daß ich meinem militärischen Freund die neue interessante Nachbarschaft hartnäckig verheimlichte, ihm, vor dem ich sonst niemals Geheimnisse hatte, obgleich er mir gegenüber verhältnißmäßig reservirt war. Ich fand es mit einem male hübscher, zu ihm zu gehen, als ihn bei mir zu sehen, und wenn er mich besuchen wollte, stimmte ich regelmäßig für die Abendstunden und hatte immer neue Vorwände in petto; ich schämte mich dieser Unehrlichkeit, aber der Gedanke, Curt könne, wenn er einmal bei Tage käme, meiner schönen Nachbarin ansichtig werden und sich für sie interessiren, war mir unerträglich peinlich. Hinterher könnte ich ja daraus eine geheimnißvolle Ahnung all des Unheils machen, das im Anzuge war, aber ich gehöre nicht zu den Menschen, die andere und sich selber auf solche Weise über ihre eigentlichen Motive zu täuschen pflegen, und ich weiß sehr genau, daß es eine keimende, halb unbewußte Eifersucht war, die mein Handeln bestimmte, die Ueberzeugung, daß Curt, wenn er sich dem Mädchen ernstlich zu nähern suchte, dabei mehr Glück haben würde, als ich – ein Gedanke, der mir ein unerträgliches Prickeln in allen Nerven verursachte, so lächerlich und kleinlich er mir auch gleichzeitig erschien.

So gingen die Wochen hin und ich war mehr als einmal drauf und dran gewesen, einen heroischen Anlauf zu nehmen und Curt selber auf das Mädchen aufmerksam zu machen, ohne doch damit zustande kommen zu können, als der Zufall seine verhängnißvolle Rolle spielte und mich jeder Verantwortung überhob.

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Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 447. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_38_18.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)