Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Lokal verlassen, und würde Ihnen Ihre Geliebte nicht plötzlich merkwürdig entwertet vorkommen? Meine heimliche Geliebte ist der Dichterlord, weil er der einzige Poet ist, den ich in jeder Zeile verstehe – soll mich’s nicht wurmen, wenn mich ein solcher Hansnarr um die geliebte Illusion bringt, als sei er mein ausschließliches Eigenthum, als wüßte nur ich von der Existenz seiner Werke? Es ist ja ein kindisches Gefühl – Sie brauchen mir das nicht zu sagen – aber ich habe es nun einmal und dann – wenn die Leute über Byron sprechen, dann fallen die schiefen, bornirten, scheinheiligen, philisterhaften Urtheile gewöhnlich hageldicht, und man muß den ganzen Schauer niederprasseln lassen und kann nur geringschätzig die Achseln zucken. Meinen Sie, ich besäße auch die dazu erforderliche philosophische Schulung?“

Soweit gekommen, machte der Maler eine Pause, musterte mit einem gewissen Mißtrauen die Mienen seiner Zuhörer und sagte dann freundlich:

„Ich muß euch für die Geduld danken, mit der ihr mich angehört habt – ich bin mir bewußt, diese Geduld auf eine harte Probe gestellt zu haben. In den Romanen und Novellen ist ja die sorgfältige Charakterschilderung fast ganz aus der Mode gekommen; man stellt euch sofort mitten in die Handlung und läßt euch möglichst viel erleben – es ist das ja auch ganz praktisch, denn auf diese Weise spart man sich die Mühe, seine Figuren einem bestimmten Charakter gemäß handeln zu lassen und entzieht sich jeder Kontrolle seitens des Lesers. Die Helden sehen sich freilich infolge dessen meist verzweifelt ähnlich und werden nur immer anders angezogen und aufgeputzt, aber das schadet ja nichts, wie die Erfahrung lehrt. Ich bin kein Novellist – mir müßt ihr die Breitspurigkeit, das Detail und die Kleinmalerei schon zugute halten. Und nun kommen wir auch rasch in anderes Fahrwasser – die Heldin erscheint auf der Bildfläche!“

Damit nahm er eine künstlerisch aquarellirte große Photographie aus der Mappe – das Bild einer seltsam ernsten und nachdenklichen, wie von einem Hauch von Wehmuth verschleierten, ein wenig fremdartigen und gewiß originellen Schönheit. Dem enthusiastischen Juristen entfuhr ein: „Ah!“ der ungekünstelten Bewunderung, sodaß die übrigen sich ebenfalls neugierig über das Bild beugten und so in der unsichern Kerzenbeleuchtung unabsichtlich eine malerische Gruppe bildeten.

„Ein hochinteressanter Kopf!“ unterbrach Arvenberg zuerst das Schweigen, indem er seinen Platz wieder einnahm. „Ein süßer, lockender und doch keuscher Mund, aschblondes Haar und schwarze Augen, eine Stirn, wie man sie bei Frauen fast nie findet, und in dem Ausdruck des Gesichts etwas Unausgesprochenes, Geheimnißvolles und Unergründliches. Da lohnte sichs wohl der Mühe, zu werben, aber Gefahr war dabei im Spiele, denn hinter dieser weißen Stirn lauern wohl keine Teufeleien, aber Unberechenbarkeiten und energische Entschlüsse. Und da die Frauen nicht nach Grundsätzen, sondern nach Launen und Aufwallungen zu handeln pflegen so ist zehn gegen eins zu wetten, daß diese Frau Ihren jungen Freund nicht hat zu Athem kommen lassen.“

Der Maler nickte. „Ich habe nie besonderes Gefallen an Ihrer Schopenhauerei gefunden, aber Ihr Urtheil ist regelmäßig scharf und treffend. So ungefähr war’s, und wie sich’s entspann, ist bald erzählt.“

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_37_15.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)