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Er hätte hinzufügen können: „alle gärende Leidenschaft meines Naturells“, aber so wenig er seine Züge in der Gewalt hatte, so schwer passirte es ihm, ein Wort mehr zu sagen, als er wollte, und über seine Eigenart und den tiefsten Kern seines Wesens breitete er geflissentlich einen dichten, trügerischen Schleier, selbst seinen besten Freunden, oder sagen wir lieber „nächsten Bekannten“, gegenüber. Für mich, der ich ja nach und nach hinter das Geheimniß seines Innern kam, hatte es einen eigenthümlichen Reiz, das kaum merkliche, feine Lächeln zu beobachten, mit dem er gelegentliche Vorwürfe seiner Kameraden über seine „Temperamentlosigkeit“, über seine „Kälte“, über seine „unnatürliche, philosophische Ruhe“ hinnahm, ohne sie abzuwehren. Oft lag soviel Ironie, soviel Ueberlegenheit, soviel geheimes Behagen in dem Blick, der dabei auf den Sprechenden sich heftete, daß die Betreffenden zuweilen mitten in ihrem unmuthigen Eifer innehielten, ganz verdutzt durch den räthselhaft-listigen Ausdruck seines Gesichts, aber dieses Lächeln hatte zugleich etwas so Grundgutmüthiges und Wohlwollendes, daß der also Verblüffte, wenn Curt freundlich sagte: „Ach, laßt mir doch meine Art, – wie ich eigentlich bin, das wißt ihr ja doch nicht und dahinter werdet ihr auch nicht kommen!“ den Gegenstand kopfschüttelnd, aber lachend fallen ließ.

Da ich zu jener Zeit in der guten Gesellschaft der alten Moldaustadt ziemlich en vogue war und vielfach eingeladen wurde, hatte ich von dem Moment an, in welchem meine Intimität mit dem interessanten jungen Offizier ruchbar ward und man uns öfters Arm in Arm flaniren sah, häufig neugierige Fragen nach dem „kalten Norddeutschen“ zu beantworten. Die Männer, namentlich die in gereifterem Alter, deren Unterhaltung er gern suchte, nannten ihn einen soliden, strebsamen jungen Mann, der bei einigem Glück seinen Weg machen werde, und hatten sämmtlich eine ausgesprochene Vorliebe für ihn, der wohl, ihnen unbewußt, hauptsächlich die Thatsache zugrunde lag, daß er sich, wie ich euch schon vorhin sagte, meisterlich auf die unscheinbarste aller geselligen Künste verstand, auf die Kunst, zuzuhören und durch scharfsinnige Fragen den Grad seiner Antheilnahme an den Tag zu legen. Die gewöhnlichen jungen Mädchen nannten ihn stolz, eitel, dünkelhaft, über alle Begriffe verwöhnt, die gescheiteren fürchteten sein gutmüthig-ironisches Lächeln und seinen forschenden Blick wie Feuer und witterten hinter jedem Wort eine kleine Bosheit. Die Frauen nannten ihn theils blasirt, phlegmatisch oder kalt, theils einen von Ehrgeiz verzehrten Sonderling; hin und wieder begegnete man wohl einer feineren Vermuthung, z. B. der, daß hier wahrscheinlich eine geheimnißvolle Liaison mit einer sehr vornehmen Dame im Spiele sei, die ihn ausschließlich beschäftige, wenn nicht vielleicht die Dame es aus Eifersucht zur Bedingung gemacht habe, daß er sich jeder andern zarten Intrigue enthalte, und ihn in Gesellschaft überwachen lasse, sodaß ihm die Flügel gestutzt seien.

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Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_36_12.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)