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Zwei Tage später komme ich von meinem gewöhnlichen Abendspaziergang heim und ich bin fast verblüfft, als mir meine Wirthin eilfertig und eifrig mittheilt, ich hätte Besuch; der Herr Oberleutnant sei gewiß schon eine halbe Stunde da, habe aber nicht wieder weggehen, sondern meine Rückkehr abwarten wollen, obgleich sie ihm gesagt habe, daß es bei mir auf eine halbe Stunde ab und zu keineswegs ankäme und daß ich nicht sehr pünktlich sei.

In meinem Zimmer herrschte, als ich eintrat, schon vollständiges Zwielicht und eine durch die Dunkelheit glimmende Cigarre war zunächst das einzige, was sich erkennen ließ. Ueberrascht und erfreut – ich kannte ja nur einen Oberleutnant – beeilte ich mich, Licht zu machen und in die Konfusion hinein, die ich dabei unvermeidlicherweise anrichtete, klang es herzlich und übermüthig:

„Da der Berg nicht zum Propheten kommen will – aber es hat wahrlich Mühe genug gekostet. Sie haben sich ja als Genie nicht einmal bei einer wohllöblichen k. k. Polizei angemeldet, und es ist reiner Zufall, daß ich endlich glücklich ermittelt habe, wo Sie hausen. Nun sagen Sie mir aber, daß Ihnen mein Besuch eine kleine Freude macht, daß Sie für heute Abend nichts besseres vor haben und daß Sie dazu aufgelegt sind, mit einem Laien über Bilder und Statuen zu plaudern.“

Es war mir inzwischen doch geglückt, Licht zu bekommen, und ich drückte die Hand, die sich mir entgegenstreckte, mit all dem Ungestüm und all dem Nachdruck, deren ein freudig Ueberraschter nur fähig ist. Da hatte ich ihn also auf einmal und er war aus freien Stücken zu mir gekommen und ich konnte ihn, während er sorglos weiter plauderte, nach Herzenslust studiren. Ich wußte thatsächlich nicht, was ich anfangen, wie ich meiner Freude Ausdruck geben sollte, und hätte ich Elfer im Keller gehabt, er hätte hervor ans Kerzenlicht gemußt, zur Feier dieses Glückstags. Aber mein junger Kriegsmann, den bei seiner „erworbenen“ Gelassenheit und Besonnenheit meine Unruhe und Aufregung fast etwas komisch anzumuthen schien, lehnte alles ab und acceptirte nur ein Glas Bier, und so haben wir denn bis in den Morgen hinein Pilsner getrunken, wie die Stadtsoldaten gequalmt und das Blaue vom Himmel heruntergeredet. Erst als er sich lächelnd und mit vertraulichem Händedruck verabschiedet hatte, als ich ihm von Fenster aus nachsah und mit einem fast melancholischen Gefühl der Vereinsamung seinen Säbel das Trottoir entlang klappern hörte, kam mir zum Bewußtsein, daß er nach der ersten Stunde immer schweigsamer und schweigsamer geworden war, das Gespräch nur durch knappe Bemerkungen lässige Einwürfe und Fragen im Gang erhalten und im übrigen meisterlich die ebenso liebenswürdige, als seltene Kunst geübt hatte – zuzuhören. Ueber seine Verhältnisse und Schicksale, seine Studien und Neigungen wußte ich so gut wie nichts und ich hatte doch, in einem wahren Fieber von Mittheilsamkeit, so ziemlich alle meine Wanderungen und Wandlungen wenigstens berührt und fast zu viel von meinen Sympathien und Antipathien laut werden lassen. Das verdroß mich hinterher nicht wenig; das gute, offene Lächeln, mit dem er zugehört und mich immer weitergelockt hatte, war mir ja gleich auch fein und humoristisch vorgekommen – jetzt aber fragte ich mich, ob es nicht vielleicht eine leichte Färbung von ironischer Ueberlegenheit gehabt habe, und ob er sich nicht am Ende, vor dem Einschlafen monologisirend, ein wenig über den enthusiastischen Künstler mokire, der gleich alle seine Hühner und Gänse vor ihm defiliren ließ.

So schloß der Abend doch mit einem leichten Mißton; der junge Soldat, der halb ein harmloses Kind, halb ein in sich gefestigter, selbstbewußter Mann zu sein schien, den man weder überrumpeln noch überlisten konnte, war mir denn doch in vieler Beziehung ein Räthsel, und wenn ich auch zuversichtlich hoffte, dieses Räthsel früher oder später zu lösen, so dachte ich doch beim Einschlafen unwillkürlich: „Armes Frauenherz, das du dich an diesen „gefährlichen“ Menschen verlierst! Er hat für dich den verhängnißvollen Reiz des Geheimnisses und der Versuch der Lösung kann dich ein Lebensglück kosten!“ Aber dann sagte ich mir wieder, daß er eine viel zu stolze, vornehme und ehrliche Natur sei, um den Frauen nachzustellen und ihnen aus Laune, Langerweile und Eitelkeit Fallen zu legen – ich mußte über den eignen Gedanken lächeln und schämte mich desselben auch ein wenig, und als ich mir am nächsten Morgen den Schlaf aus den Augen rieb, besann ich mich zwar dunkel darauf, mit vieler Lebhaftigkeit von meinem jungen Freunde geträumt zu haben, aber ich hatte nur noch das eine Gefühl, einen der seltenen Menschen kennen gelernt zu haben, die man von der ersten Stunde an lieb haben und denen man ein unverständiges, kaum zu rechtfertigendes Vertrauen entgegenbringen muß, und der Gedanke, daß ich ihn am Abend in seiner Wohnung aufsuchen sollte, vergoldete den trüben, regnerischen Morgen; ich glaube, ich bin nicht

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Rudolf Lavant: Idealisten. In: Die Neue Welt, Leipzig 1880, Seite 421. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_36_10.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)