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ist daher gerade umzukehren, wiewol er, da er sich ausdrücklich auf die Meister seines Landes bezieht, und gewiß die älteren im Sinn hatte, unter dem häufigeren Moduliren in der Kirchenmusik nur den größern Reichthum des harmonischen Stoffs meinte. Rücksichtlich der Opernmusik änderte er auch wahrscheinlich seine Meinung, als er Gluck’s Werke in Paris gehört hatte, denn sonst würde er, dem von ihm selbst aufgestellten Prinzip zuwider, nicht die starke, heftig ergreifende Fluchscene im Oedip auf Colonos[WS 1] gesetzt haben. -

Jene Wahrheit, daß die Oper in Wort, Handlung und Musik als ein Ganzes erscheinen müsse, sprach Gluck zuerst in seinen Werken deutlich aus; aber welche Wahrheit wird nicht mißverstanden, und veranlaßt so die sonderbarsten Mißgriffe! Welche Meisterwerke erzeugten nicht in blinder Nachahmerei die lächerlichsten Produkte! Dem blöden Auge erscheinen die Werke des hohen Genie’s, die es nicht vermochte in einem Brennpunkt aufzufassen, wie ein deformirtes Gemälde, und dieses Gemäldes zerstreute Züge wurden getadelt und nachgeahmt. Göthe’s Werther veranlaßte die weinerlichen Empfindeleien jener Zeit; sein Götz von Berlichingen schuf die ungeschlachten, leeren Harnische, aus denen die hohlen Stimmen der biderben Grobheit und des prosaisch tollen Unsinns erklangen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sacchinis Oper Oedipe à Colone (Text: N. F. Guillard), eine Tragédie lyrique, wurde 1786 in Versailles uraufgeführt in der Übersetzung von C. Herklot unter dem Titel Oedip zu Colonas am 17. Oktober 1797 im Königlichen Nationaltheater Berlin erstmals gegeben. Hoffmann schrieb über die Berliner Aufführung am 17. September 1815 eine Rezension, die am 30. September im Dramaturgischen Wochenblatt Nr. 13, S. 99-100 erschien Google. Eine zweite Rezension Oedip auf Kolonos (aufgeführt am 15. Mai 1816) in derselben Zeitschrift 2. Halber-Jahrgang, Nr. 23 vom 8. Juni 1816, S.179-180 Google.