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David Hilbert: Mathematische Probleme. In: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse

von der Beschaffenheit, daß zwei beliebige Transformationen,

des Systems, nacheinander ausgeführt, eine Transformation ergeben, welche wiederum dem System angehört und sich mithin in der Form

darstellen läßt, wo , …, gewisse Functionen von , …, ; , …, sind. Die Gruppeneigenschaft findet mithin ihren Ausdruck in einem System von Functionalgleichungen und erfordert an sich für die Functionen , …, , , …, keinerlei nähere Beschränkung. Doch die weitere Behandlungsweise jener Functionalgleichungen nach Lie, nämlich die Ableitung der bekannten grundlegenden Differentialgleichungen, setzt notwendig die Stetigkeit und Differenzirbarkeit der die Gruppe definirenden Functionen voraus.

Was zunächst die Stetigkeit betrifft, so wird man gewiß an dieser Forderung zunächst festhalten – schon im Hinblick auf die geometrischen und arithmetischen Anwendungen, bei denen die Stetigkeit der in Frage kommenden Functionen als eine Folge des Stetigkeitsaxioms erscheint. Dagegen enthält die Differenzirbarkeit der die Gruppe definirenden Functionen eine Forderung, die sich in den geometrischen Axiomen nur auf recht gezwungene und complicirte Weise zum Ausdruck bringen läßt, und es entsteht mithin die Frage, ob nicht etwa durch Einführung geeigneter neuer Veränderlicher und Parameter die Gruppe stets in eine solche übergeführt werden kann, für welche die definirenden Functionen differenzirbar sind, oder ob wenigstens unter Hinzufügung gewisser einfacher Annahmen eine Ueberführung in die der Lieschen Methode zugänglichen Gruppen möglich ist. Die Zurückführung auf analytische Gruppen ist nach einem von Lie[1] aufgestellten und von Schur[2] zuerst bewiesenen Satze stets dann möglich, sobald die Gruppe transitiv ist und die Existenz der ersten und gewisser zweiter Ableitungen der die Gruppe definirenden Functionen vorausgesetzt wird.


  1. Lie-Engel, Theorie der Transformationsgruppen, Bd. 3, Leipzig 1893[WS 1]. § 82 und § 144.
  2. Ueber den analytischen Charakter der eine endliche continuirliche Transformationsgruppe darstellenden Functionen, Mathematische Annalen, Bd. 41[WS 2].

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Sophus Lie und Friedrich Engel: Theorie der Transformationsgruppen. Leipzig: Teubner Quelle
  2. Friedrich Schur: Ueber den analytischen Charakter der eine endliche continuirliche Transfomationsgruppe darstellenden Functionen, in: Mathematische Annalen. Band 41 (1893), Seite 509–538 Quellen
Empfohlene Zitierweise:
David Hilbert: Mathematische Probleme. In: Nachrichten von der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen, Mathematisch-Physikalische Klasse. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1900, Seite 270. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hilbert_-_Mathematische_Probleme.pdf/19&oldid=- (Version vom 1.8.2018)