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lernen müssen, eine fremde, wenn auch hellenisirte Litteratur neben sich haben, beeinflusst ihre Wissenschaft und ihren Geschmack. Die Grammatik ist dies eine Mal durch die Heranziehung einer fremden Sprache zu einer tieferen Erfassung der Sprachbaues angeregt worden: Philoxenos und Seleukos haben wirklich noch Fortschritte gemacht.[1] Das Weltreich kam den Philologen in dem Centrum seines Regimentes ganz anders als Einheit zum Bewußtsein als in den hellenischen Winkeln: nur hier konnte ein Alexander die Archäologien aller barbarischen Volker, darunter der Römer, konnte ein Strabon seine populäre Erdbeschreibung verfassen.[2] Es gab kein hellenisches Reich mehr. Die Welt war in den Bahnen fortgeschritten, die Polybios und Poseidonios geweissagt hatten. Der letzte Versuch des Widerstandes, den Hellas mit dem Anschlüsse an den schlimmeren Barbaren Mithradates gemacht hat, war in die Zertrümmerung Asiens und Athens ausgegangen. Die Mächte dieser Welt hatten nicht geholfen: da besann der Hellenismus sich auf die ewigen Machte, durch die er seine Herren trotz Allem beherrschte, seine classische Litteratur, seine Wissenschaft und seine Sprache. Damit war der Classicismus gegeben.

Ohne Zweifel ist kein einzelner Mann im Stande, eine solche fundamentale Umkehr des Geschmackes zu bewirken; eben so selbstverständlich muss eine geistige Bewegung ihre Führer haben, und man darf nicht aufhören nach diesen zu suchen. In Rom, in der Zeit von Ciceros höchstem Ansehen müssen sie aufgetreten sein, lehrend vielleicht mehr als schreibend. Die entscheidenden Gedanken können nicht im Hirne eines Rhetors entstanden sein: die allgemeine Bildung schwimmt immer mit dem Strome. Aber da es sich wesentlich um den Stil handelt, kommen die Professoren der Stilistik für die Verbreitung der neuen Principien stark in Betracht. Ich schäme mich dessen nicht, dass ich einst auf Apollodoros von Pergamon gerathen habe, denn dessen Schüler, Augustus,


  1. Dass Philoxenos vor Varro fällt, habe ich von Reitzenstein gelernt, Gesch. d. Etym. 179, dessen Ausführungen über die Grammatik dieser Zeit von höchstem Werthe sind.
  2. Auch eine solche Weltgeschichte wie die des Trogus (an Timagenes glaube ich nicht) hat ihre Anregung aus dieser hellenischen Betrachtung geschöpft, nur in antirömisehem Sinne. Am Hofe des Herodes schrieb Nikolaos ganz anders, nach der Geschichtsbetrachtung des Daniel gravitirend, übrigens auch schon atticistisch und als Peripatetiker.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 46. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_046.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)