Seite:Hermes 35 045.jpg

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

und die δυναστεύοντες κατ’ ἀρετὴν καῖ ἀπὸ τοῦ κρατίστου τὰ κοινὰ διοικοῦντες dafür lobt, dass sie der übrigen Gesellschaft ihren Geschmack aufzwingen, so geht das auf den bekanntlich überzeugt classicistisch gesonnenen Kaiser Augustus, dessen persönliche Haltung gewiss sehr viel gewirkt hat; aber die atticistischen Forderungen sind schon fast ein Menschenalter früher erhoben worden. Schon damals galt, was er von Rom sagt, dass es als Centrum der Welt den Ton angab; aber Römer können ihn unmöglich angegeben haben. Die Herren der Welt mussten Griechisch lernen, der Grammatiker und dann der Rhetor, immer mehr auch der Philosoph erhielten die Aufgabe ihnen die Sprache und Bildung zu vermitteln. Die Frage, was ist als griechisch zu lernen, was ist als musterhaft zu interpretiren, drängte sich dadurch in neuer Weise auf. Das hat wohl seine Wichtigkeit; allein Rom hatte im 2. Jahrhundert den Hellenismus in seiner modernsten, asiatischen Form begierig aufgenommen, Rom hat gerade, während Dionysios sein Triumphgeschrei erhob, die Arellius Fuscus und Hybreas als Stilmuster allen Atticisten vorgezogen. Die römischen Attiker vollends, die Cicero bekämpft, sind Leute, denen eigene Initiative nicht zugetraut werden kann: es wäre naiv, einen Thucydides tyrannus Atticae febris, eine Imitation des Lysias oder Xenophon spontan auf lateinischem Gebiete erwachsen zu glauben. Die Stilmuster sind ja immer Griechen, uns als solche auch durch Griechen bekannt, und es versteht sich von selbst, dass die jungen römischen Redner, die diese Imitation gegen Cicero ausspielten, sowohl ihre verschiedenen Vorbilder wie das Princip der μίμησις von ihren griechischen Lehrern hatten, die freilich keine Rhetoren gewesen zu sein brauchen. Nicht die Römer haben den Griechen beigebracht, wer ihre Classiker wären, sondern die Griechen haben in Rom sich auf ihre Classiker besonnen, die Macht, die ihnen einzig noch blieb. Seit der Verwüstung Asiens und vollends seit der Annexion von Aegypten ist Rom auch für die griechische Litteratur der Hauptsitz. Hier fast allein erscheinen die neuen Litteraturwerke,[1] hierhin zieht sich auch Grammatik und Philosophie. Und dass die Griechen in fremdem Lande sind, eine fremde Sprache


  1. Es verschlägt nichts, dass der Verlag des Atticus die Bücher in Athen herstellen liess, offenbar, weil es dort geschulte Schreiber gab; es wird auch billiger gewesen sein. Unter Augustus hat sich auch dieses Gewerbe nach der Hauptstadt gezogen.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_045.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)