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dafür schon gethan hat, sieht man bei Harpokration. Damals kommt es auch zu der Anlage eines Onomastikons, also eines griechischen Wörterbuches, durch den scharfen Analogetiker Tryphon[1]: wer wollte darin eine mächtige Waffe der classicistischen Spracherneuerung verkennen. Wer auch immer die Auswahl der Lectüre für den Redner gemacht hat, die wir bei Dionysios, Quintilian, Tacitus, Dio befolgt finden, ein Grammatiker ist er gewesen, ein Classicist auch, und welchen Einfluss er gewonnen hat, zeigt die weite Geltung seiner Auswahl.

Gleich mächtig ward die Philosophie, gerade weil sie in ihrem Unterrichte nun auch der Rhetorik einen Platz gewährte. Die Akademie, von der diese Bewegung ausging, hatte in Piaton nicht nur den erbitterten Feiud der κομμωτική als Patron, sondern, auch das unvergleichliche Vorbild edelster menschlicher, aber auch attischer Rede. Die leeren formalen Künsteleien konnten hier gar nicht das Uebergewicht erlangen. So sehen wir denn in Ciceros drittem Buche de oratore Stilprincipien ausgesprochen und Forderungen erhoben, die der sana eloquentia wahrhaftig entsprechen[2]; wer diese philosophische Rhetorik in sich aufnahm, dem ward die sophistische Rhetorik an sich zuwider, und wenn er Höheres anstrebte, so kam er nothwendig auf den Anschluss an die wirklich grossen Stilisten, zuerst zu Platon, dann den Historikern und Rednern. Diesem Unterrichte, seiner philosophischen und zwar akademischen Bildung, verdankt doch Cicero, dass er ein wirklicher


  1. Wenn er der Verfasser der rhetorischen Schrift περὶ τρόπων ist, was ich sehr wohl für möglich, aber für ungewiss halte, so hat er selbst in die Rhetorik eingegriffen.
  2. Die Doctrin, die ganz in platonischem Grunde wurzelt (21), erkennt mehrere gleichberechtigte Stile an (Parallele Myron, Polyklet, Lysipp, d. i. ἰσχνόν, σεμνόν, μέσον), aber die Stilmuster sind alle Classiker (27·. 28). Die Forderung der Lectüre ist sehr stark, und die Sprache soll rein, d. h. attisch sein (42: hier die Kritik der asianischen Aussprache; bei der Forderung der κύρια ὀνόματα 49 wird das Original wohl auch die Polemik gehabt haben). Besonders bemerkenswert ist die Warnung vor dem nimis dulce, 96–101: das ist ganz ohne jede Polemik gehalten, auch ohne jede Uebertreibung, aber es trifft den Kern; es enthält das, was in der stilistischen Kritik der Atticisten uneingeschränkten Beifall verdient. Die weiteren speciellen Vorschriften über λέξις und ῥυθμός lehren weniger. Berührungen mit Philodemos sind in diesem Buche zahlreich: das ist bei beiden Niederschlag der allgemeinen philosophischen Polemik gegen die Rhetorik aus dem zweiten Jahrhundert.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_043.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)