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Der andere Vorwurf gegen die Asianer ging die Sprache an. Getadelt ward ausser dem Uebermaass an Schmuck der Mangel an κύρια ὀνόματα, statt deren Umschreibungen oder Neubildungen eintraten. Darüber könnte man unendliches reden,[1] aber wenige Worte werden dem genügen, der die Schriften lesen will. Das hellenistische Griechisch ist die natürliche Tochter des hellenischen, die lebendige Rede aller Hellenen und hellenisirten Barbaren, erwachsen auf dem Boden einmal der jeweiligen mündlichen Ueberlieferung, zum anderen der attischen Schriftsprache, die in allen Reichen seit Philippos Kanzleisprache war, und abgesehen von gewissen Gattungen der Poesie und kleinen Kreisen epichorischer Bedeutung Literatursprache sein sollte, aber sich unwillkürlich fortwährend umformte. Es ist ja nur ein Zeichen dafür, wie wenig uns erhalten war, wenn man ehedem die Uebereinstimmung der Sprache des neuen Testamentes mit vielem, was man nur bei Polybios fand, befremdet constatirte (was man etwa so ausdrückte, dass der heilige Geist eine besondere Vorliebe für den Stil des Polybios gehabt hätte), und dass man neuerdings die Uebereinstimmung des Polybios mit gleichzeitigen Inschriften ganz anderer Gegend befremdet constatirt und wohl gar Kanzleisprache bei ihm findet.[2] In Wahrheit lebt in jenen Documenten und Polybios dieselbe


  1. Das bewusste Schmücken der Rede mit ‚schönen‘ Wörtern ist auch so alt wie die Rhetorik und älter. Gorgias und Isokrates sind auch darin die bewussten Stilkünstler und Lehrer; Alkidamas sündigt nach dieser Seite. Eine Reaction, die strenge Wortwahl und Einfachheit suchte, repräsentiren Isaios und Demosthenes, der die Kühnheiten der eigenen mündlichen Rede in der Schrift ausmerzte. So geht das weiter; ich muss es bei der Hindeutung bewenden lassen. Das stammt ganz direct aus der Poesie, insbesondere der Lyrik.
  2. Der vornehme junge Mann, berufen zu der politisch-militärischen Führung seiner Vaterstadt Megalopolis, hat die Schulbildung dieser arkadischen [39] Mittelstadt erhalten, allerdings früh litterariache Neigungen gehabt und den rhetorischen Unterricht in einer Lobschrift auf Philopoimen verwerlhet. Das spätere Leben hat ihn nur selten in Contact mit der Litteratur gebracht, deren Centra er kaum vorübergehend besucht hat. Um so wertvoller, dass er den Hiatus peinlich vermeidet, endlose Perioden baut, zumal wenn er seine Betrachtungen anstellt, und in breiten Periphrasen und üppiger Wortfülle schwelgt trotz aller Antipathie gegen Phylarchos und Timaios. Das gehörte eben zur Historie. Dionysios erklärt ihn ja auch für unlesbar.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 38. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_038.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)