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Ich bin ausser Stande eine abschätzige Beurtheilung der ἀρχαῖοι bei den hellenistischen Rednern aufzuzeigen. Erst in der Fehde, die der Atticismus begann und die er bis zu der Verwerfung des Platon wie des Pheidias trieb,[1] wird auch von den Anhangern des modernen Stiles kräftiger vorgegangen sein. Es scheint mir aus einer Stelle Quintilians zu folgen, dass man im Gegensatze zu der Bevorzugung der archaischen Sculptur und des polyklelischen Kanons gewagt hat, dem Vorwurfe des Castratenstiles zum Trotze das Ideal des mannweiblichen Megabyzos zu vertreten,[2] pikanter Weise sich mit dem Geschmacke des Classicisten Winckelmann berührend.[3] Aber freilich, die Bewunderung der attischen Classiker hemmte die selbständige Fortbildung des Stiles nicht, die man nicht auf eine Weise bloss versuchte, und die Herrschaft über die Kunstmittel führte zu den Uebertreibungen nach den verschiedenen Seiten, die dann die Reaction hervorriefen.


  1. Π. ὕψους 36, erläutert in der Strenna Helbigiana.
  2. Quintilian sagt V 12, 21, ersichtlich aus seiner Specialschrift einen Trumpf borgend, statuarum artifices pictoresque clarissimi .... numquam in hunc ceciderunt errorem, ut Bagoam aliquem aut Megabyzum in exemplum operis sumerent tibi, sed doryphoron etc. Er negiert also das, was ich gleichwohl ihm selbst entnehme. Wie sollen diese Eunuchennamen typisch stehen? Wer schmähen will, wählt sich nicht die vornehmsten Vertreter des angegriffenen Ideales. Bagoas, Name bedeutsamster Hofeunuchen des Perserreiches, ebendaher von Ovid Am. 2, 2 genommen, möchte noch gehen, aber Megabyzos, der Hohepriester der ephesischen Artemis, wie soll der anders als honoris causa genannt sein? Und nun die Thatsachen: erstens hat kein geringerer als Apelles den Megabyzos gemalt (Plin. 35, 93), vielleicht auch Parrhasios (Plin. 35, 70, Brunn Gesch. d. K. II 101), und zweitens weiss jeder, dass die hellenistische Kunst namentlich in Dionysos und Apollon ein solches Ideal verfolgt hat. Unwissend ist also Quintilian auf alle Fälle; entweder hat er ahnungslos geleugnet, was doch geschehen war, oder er ist beherrscht von dem classicistischen Geschmacke auch in der bildenden Kunst und bestreitet das Princip, das sich einst auf die Schönheit des Megabyzos von Apelles berufen hatte, mit der Behauptung, die classischen Künstler hätten so niemals geurtheilt, was ja zutrifft. Die Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten scheint mir nicht schwer.
  3. Iusti II1 2, 173. Uebrigens sagt schon ein ἀφορισμός des Kritias (Dion. Chr. 21, 3) κάλλιστον ἐν τοῖς ἄρρεσι τὸ θῆλυ. Solch ein λευκόπυγος ist der Knabe von Subiaco.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_031.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)