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nach welcher Seite der Fehler ginge. Niemand also kann sich getrauen zu sagen, worauf Neanthes von Kyzikos mit dem Worte gezielt hat, bei dem es in einem Buchtitel zuerst auftritt. Noch Quintilian (8, 3, 56), der unlogisch genug (wie gewöhnlich) das κακόζηλον in die Reihe von einzelnen Fehlern stellt, giebt doch die allgemeine Definition, cum dicitur aliter quam se natura habet et quam oportet et quam sat est. Gewiss hat er es in der corrupta eloquentia gefunden, da er sofort auf seine Specialschrift verweist, und gewiss hat jeder besonnene viel Manier (so übersetzen wir am besten) in den Productionen der Asianer gefunden, aber es ist ganz unberechtigt zu schliessen, dies heisst κακόζηλον, also wird es asianisch sein und genannt worden sein. Wenn die Vorkämpfer des Atticismus ihre Gegner die ‚von der falschen Manier‘ nennen, so konnten jene, die Velleietäten der atheistischen Imitation mit demselben Worte belegen.

Es ist zweierlei, ob man gegen Ausschreitung und κακὰ ζηλώματα kämpft, oder ob man das allein seligmachende Evangelium des Rückschrittes verkündet. Es ist zweierlei, ob man die Attiker als musterhafte Stilisten anerkennt, von denen man sehr viel lernen kann, oder ob man gebietet zu schreiben wie sie. Das erste ist sehr berechtigt; es ist auch während der ganzen Zeit des Hellenismus anerkannt worden. Das zweite ist nur so weit berechtigt, als es das erste ist: was darüber ist, ist das Princip der Imitation, der μίμησις statt des ζῆλος: das ist der falsche Classicismus, der die Entwicklung hemmt und das Leben ertödtet. Dies Princip hat die Rhetorik der augusteischen Zeit nicht nur verkündet, sondern zum Siege geführt: daher ist dies die entscheidende Stunde in der Entwicklung der ganzen griechischen Sprache und Litteratur.

Dass Isokrates und Demosthenes niemals aufgehört haben, als Muster der Rede studirt zu werden, bedarf keines Beleges[1]; man


  1. Man vergesse nicht, dass Demetrios von Phaleron ein ἔμμετρον des Demosthenes tadelt, Eratosthenes meint, er wäre oft ὑπόβακχος geworden (Plut. Dem. 9): das sind Vorwürfe, wie sie den ‚Asianern‘ gemacht werden. Hermippos erzählt von einem Aision, vermuthlich einem alten Manne, der den Demosthenes noch gehört hatte; der sagte, zu hören wären die Redner der Gegenwart bewunderungswerth, da sie εὐκόσμως καὶ μεγαλοπρεπῶς redeten; aber gelesen wäre jener ihnen weit überlegen (Plut. 11). Da trifft die Modernen dieselbe Kritik, wie bei Cicero den Hortensius.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_029.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)