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weiteren Ausdehnung modern wäre; allein die bedenklichen Missbräuche, die mit dem hoffentlich endgiltig abgethanen stilus Afer getrieben sind, rathen zur Vorsicht, und es schillert allzu modern naturwissenschaftlich, wenn eine gewisse Stilrichtung aus localer Disposition hergeleitet zu werden aoch nur scheint, die Ueppigkeit und Weichheit des ionischen Klimas sich auch in der asianischen Rede durch die Jahrhunderte offenbart. Daher wollen wir lieber die Thalsachen constatiren. An der alten sophistischen Rhetorik hat Asien, so weit es ionisch ist, gar keinen Antheil. Thrasymachos von Chalkedon, Theodoros von Byzanz, Theodektes von Phaselis sind aus Orten dorischer Sprache; Alkidamas von Elaia, Ephoros von Kyme sind Aeoler, und Naukrates von Erythrai, Anaximenes von Lampsakos sind aus ionischen Orten mit starker äolischer Unterlage; auch Isokrates aus dem politischen Apollonia kann nicht als vollblütiger Ionier gelten. Es ist das bemerkenswerth und leicht begreiflich, Ionien hatte eben eine kunstmässige Prosa ausgebildet, ehe die attische begann, und die Sophistik ist von Anbeginn attisch. Ionien hatte die wissenschaftliche Prosa ausgebildet, bis zu einer solchen Vollendung, dass sie auch äusserlich attisch geworden sich nie verleugnet hat.[1] Wenn also der Asianismus in der alten Sophistik wurzelt, so ist seine Wurzel ganz und gar nicht asiatisch. Aber auch das Wesen der alten ionischen Kunst, die wir nun endlich zu erkennen beginnen, hat wahrhaftig mit dem nichts verwandtes, was die corrupta eloquentia mit den motus Ionici und den ionici cinaedi[2] gemein zu haben scheinen kann. Andererseits ist Athen keineswegs durch eine Naturnotwendigkeit zum Sitze der sana eloquentia prädestinirt. Im 4. Jahrhundert n. Chr. ist das üppige Antiocheia durch Libanius die Burg des Classicismus, in Athen treibt der Athener Himerius die tollsten Sprünge des ‚Asianismus‘. Und in der Zwischenzeit


  1. Die naturwissenschaftlichen Schriften des Aristoteles und Theophrast in ihrer bewunderungswürdigen Prägnanz und Sachlichkeit sind der beste Beleg. Platon, der diesem Ionerthum immer fern blieb, hat darum keine wissenschaftliche Prosa ausbilden können. Der Timaios ist zwar ein Wunder an Stil, aber ein τέρας auch. Ihn nachahmen ist κακοζηλία.
  2. Ueber die altionische Musik und Metrik sagt einer der wenigen, die etwas sagen können, Herakleides, 414 bei Athen. τὸ τῆς Ἰαστὶ γένος ἁρμονίας οὔτ’ ἀνθηρὸν οὔτε ἱλαρόν ἐστιν ἀλλ’ αὐστηρὸν καὶ σκληρόν, ὄγκον δ’ ἔχον οὐκ ἀγεννῆ. Daran muss ich immer denken, wenn ich die Werke namentlich der altionischen Malerei sehe.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_023.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)