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allen diesen ganz flüchtig handelt. Also die ganze Anknüpfung an die alle Sophistik ist nur ein Coup, bestimmt, die Würde der Kunst zu erhöhen: in Wahrheit wollte er über die Sophisten handeln, von denen er durch Tradition und, lange nicht von allen, durch ihre Werke Kunde hatte.[1] Also fängt mit den Flaviern darum noch lange keine neue Periode an, weil anderthalb Jahrhunderte später die Erinnerung und die in den Händen des Publicums erhaltene Litteratur nicht weiter zurück reichte. Auch diese Litteratur ist immer modern und ephemer und nie original. Wie wäre es gegangen, wenn wir Philostratos nicht mehr hätten? Was wären uns Niketes und Lollian, Hippodromos und Skopelian? Wie ist es denn den Sophisten nach ihm ergangen, Proaeresius, Kallinikos, Minucian u. s. w.? Und wenn wir Seneca den Vater nicht hätten, was besässen wir von der Blüthe der augusteischen Declamation? So viel wie jetzt von den lateinischen Declamatoren zwischen Seneca und Quintilian, die doch wahrhaftig ihrer Zeit bedeutend waren. So lange die Litteratur sich irgendwie fortentwickelt, zerstört sie unweigerlich die Masse dessen, was für den Tag Bedeutung, hatte, aber über den Tag hinaus zu wirken, die Kraft verlor. Die Nachwelt trifft eine Auswahl, nicht absolut gerecht, aber doch mit geschichtlich erkennbarer Notwendigkeit. Aber wer die Entwicklung der Litteratur verfolgen will, muss nicht nur was dauernd, sondern auch was momentan wirkt, erwägen.

Was die Byzantiner an Litteratur übernahmen, setzt in breiter Massenhaftigkeit mit dem 4. Jahrhundert ein, das in den grossen Klassikern der christlichen Kirche des Orients auch rhetorische Vorbilder hinterliess, deren Geltung nicht mehr angefochten worden ist, weil keine neue kräftige Zeit mehr kam; zu ihnen gesellt sich Libanios, von dem sich nur zu viel erhalten hat, der am strengsten attische und archaistische Rhetor des Jahrhunderts. Daher hat er das Uebergewicht erhalten. Aber es sind neben ihm doch nicht nur Julian und Themistios, sondern auch Himerios erhalten, ein


  1. Das gilt von Niketes, dessen Werke jedoch bereits eine offenbar attisch-puristische Umarbeitung erfahren hatten, und Skopelian, aber nicht mehr von Isaios, der doch seiner Zeit eher noch mehr gegolten halte. Auch über Skopelian schöpft Philostratos aus mündlicher Tradition, die er freilich noch mit den Reden vergleichen kann (II p. 39 Kayser). Offenbar haben ihm über Vieles Bücher in der Art des Seneca vorgelegen, denn die einzelnen Schlagworte stammen längst nicht alle aus publicirten Reden.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_010.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)