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der Kreis der Lectüre, den er voraussetzt, umfasst nur Klassiker, Redner gar nicht mit Vorliebe, von Historikern Theopompos, Ephoros, Philistos, von Dichtern nicht Tragödie oder Lyrik, dagegen mit Vorliebe Menander: das ist, wie mich dünkt, im 2. Jahrhundert undenkbar, so dass ich mit denjenigen Übereinstimme, die die Schrift um die Mitte des 1. Jahrhunderts ansetzen. Dazu stimmt auch die Nennung der Asianer, die freilich der Vergangenheit angehören können, aber doch noch bekannt sind. Denn es ist ihre letzte Erwähnung. Wenn Plutarch von Antonius (2) sagt, dass er dem ζῆλος Ἀσιανός angehangen hätte, ἀνθῶν ἐπ’ ἐκείνου τοῦ χρόνου, so entnimmt er das seiner Quelle, bezeugt zudem ebenso wie Quinlilian, dass diese Stilrichlung nicht, mehr existirte.

Das ist alles.[1] Constatiren wir dem gegenüber, wer den Ausdruck nicht kennt. Agatharchides, der doch mit Hegesias so streng ins Gericht geht, Sextus, dessen Buch wider die Rhetoren vorciceronische Doctrin giebt, Philodem, Cicero de inventione, der Rhetor ad Herennium, Gorgias von Athen, der die Asiaten anstandslos als Muster braucht, die Schrift π. ὕψους, der jüngere Seneca und alle Späteren. Es ist ein Schlagwort, ausgegeben in Rom um die Mitte des 1. Jahrhunderts, das kaum zwei Menschenalter vorgehalten hat. Es richtete sich gegen die Redner, die in der Gegenwart in der Provinz Asia herrschten, wo die Römer ihre rhetorischen Studien zu machen pflegten, und deren Vorbilder, die denn freilich nicht alle Asiaten waren, sondern Timaios Sikeliote, Matris Thebaner, Epikur gar Athener. Gegen sie spielte man die ‚Attiker‘, d. h. die alten Classiker, aus, über deren Auswahl man immer noch so verschieden urtheilen konnte, wie Cicero und Brutus, Dionysios und Caecilius. Der Gegensatz von Attisch und Asianisch ging nicht die διάνοια, sondern ausschliesslich die λέξις an, dies in doppelter Weise, einmal die Rhythmen, d. i. die σύνθεσις ὀνομάτων, wo man denn wieder verschiedenes tadelte, zum anderen ἐκλογὴ ὀνομάτων. Dies zweite tritt zufällig in unserer Ueberlieferung zurück, da Cicero, der Lateiner, es nicht behandeln kann,


  1. Scheinbare Zeugnisse aus viel späterer Zeit, auf die sich Norden I 367ff. stützt, wenden unten S. 11 Α. 4 an ihrer Stelle besprochen. Was von Lateinern dem Cicero nachgesprochen wird, wie in den von Norden II 635 vorgelegten Stellen des Hieronymus, kann hier nichts lehren, und auch in dem Zusammenhange, in den es Norden rückt, hat es keine Beweiskraft.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_007.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)