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die so oft den tiefsten Nerv des Gemütes rühren und uns zu Herzen sprechen?

 Hat er etwa selbst sich uns empfohlen, um unser Gedächtnis geworben, wie unsere großen Klassiker es taten? Er schreibt doch nicht umsonst an Freund Hartmuth von Kronberg (März 1522): „Den Luther lasset fahren, er sey ein Bub oder heilig. Gott kann sowol durch Bileam als durch Jesajam, durch Kaipham als durch Petrum, ja durch einen Esel reden. Denn ich kenn selbst auch nit den Luther, will ihn auch nit kennen. Der Teufel mag ihn holen, wenn er kann, er lasse aber Christum im Frieden bleiben.“ Und er bekennt: „Wer ist Luther? Lutherus sterbe, Christus lebe.“ Nein, so wenig er es darauf anlegte, groß zu sein (Carlyle), so wenig will er in unsere Liebe sich empfehlen. Oder ist vielleicht sein äußeres Bild dazu angetan, uns für ihn zu gewinnen? Zwar das Bildnis eines Raffael Urbinas aus seinen Jugendjahren bleibt dem Gedächtnis unvergessen, und das Mannesbild Albrecht Dürers mit dem edlen Trotz um die Lippen und dem kühnen Blick in die Ferne ist uns teuer. Das fast verklärte Stieler’sche Bildnis des greisen Göthe spricht immer wieder zu uns. Aber so viel auch Meister Kranach sich mühte, Luther uns darzustellen – (das schöne Bild im Sitzungszimmer des Oberkonsistoriums, das der selige Präsident Friedrich Roth ihm bei seinem Amtsantritt 1828 schenkte, soll nicht Original sein) –, es ist das grobknochige, wenig schöne Angesicht, das man sich großartiger, schärfer umrissen wünschen möchte (II. Kor. 10. 10), nur die Augen, die miri oculi, welche dem Kardinal Thomas Vio in Augsburg aufgefallen und Melanchthon oft so schrecklich waren, die aber wieder so treuherzig eine Welt des tiefen Gemüts in die Herzen senden und an ihm sich bezeugen konnten, bleiben schön und groß.

 Nein, durch Aeußeres hat Luther nicht uns gewonnen, auch nicht durch seine Genialität. Das Genie bricht neue Bahnen und achtet der alten Wege nimmer, sie sind ihm zu schmal und passen wie die Weise von andern nicht zu ihm, sondern es schafft sich seine Weise und zwingt Gesetze auf, die niemand ganz überschaut. Dem Genie ist der Augenblick groß genug, um in ihn schöpferische Pläne zu legen, aber der Tag zu lang, um deren Ausreifung gelassen abzuwarten. Er eilt weiter, denn er will sein genießen und verwirft eben Geschaffenes, um dem Reize nach Neuem zu dienen. Das Genie spielt verschwenderisch mit den Gaben, weil es nie an ihnen Mangel