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eine Verstörung des Friedens, das soll man auf einen Knäuel winden, bis es Gott selbst einmal abwinde.“ (21. Juni 1531 nach Zwickau.)

 Daß der Staat kein fleischloses, blutleeres Phantom, noch das alles ausfüllende Ideal ist, diese Erkenntnis verdanken wir Luther. Er hat uns das Vaterland und die Erdendinge lieben gelehrt, ohne daß wir an sie uns verlieren dürften, hat das Auge und das Gewissen für die Pflicht gegen den uns schützenden Staat geöffnet, der dafür sorgt, daß nicht alles verkehrt und zerstört werde, Steuer und Abgabe willig zu tragen gemahnt und dabei nie versäumt, von dem wahren und bleibenden Bürgerrecht zu zeugen und seine ewige Bedeutung einzuschärfen. Wenn Friedrich der Große der erste Diener des Staates sein, und wiederum im Jahre 1813 der ärmste Bürger sein Scherflein auf den Altar des Vaterlandes niederlegen wollte, wenn die Könige von Gottes Gnaden sein und die Untertanen landesväterlich regieren, diese um des Gewissens willen gehorchen wollten, so ist das eine Frucht der Reformation, deren rechte Erfassung der Revolution ebenso wehrt als der Diesseitigkeitspolitik.

 Die den Armen stützenden (ich erinnere an die Ordnung des „Gemeinen Kastens“ zu Leisnig), den Ohnmächtigen schützenden, wahrhaft sozialen Gesetze sind aus evangelischem Geiste geboren. Der Staat weiß es nicht oder vergißt es oft, was er Luther verdankt.

 Aber am meisten verdient und empfängt Luther unsern liebenden Dank, weil er unsere Seele in der Kirche heimisch gemacht hat, die nicht als starrer, weltbeherrschender Organismus mit dem antiken Herrschaftsgedanken, sichtbar und greifbar, äußerlich imposant, wie „das Königreich der Franzosen und die Republik Venedig“ (Bellarmin † 1621) mit streng bestimmenden Gesetzen in das Leben des Einzelnen eingreift, dem sie die Pflicht der Selbstentscheidung, aber auch die Aufgabe der Selbstverantwortlichkeit abnähme, sondern die als gottgeschenkte, von dem Herrn Christus gestiftete innere Gemeinschaft unbeschadet äußerer Ausgestaltung und Entwicklung als Freikirche, als Landes- oder Volkskirche um diesen ihren Herrn, der sie erlöst und geheiligt, mit Ewigkeitskräften für und über die Zeit ausgestattet, in fortgesetzter Durchwaltung und fürbittender Regierung zu behüten verheißen hat, sich im Glauben schart „als die heiligen Gläubigen und die Schafe, die ihres Hirten Stimme hören.“ (Schmalkald. Artikel.) „Wo also (sagt Melanchthon ganz in Luthers Sinn) Gottes Wort rein geht, wo die Sakramente demselben gemäß gereicht werden, da ist gewiß die