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den Rieser Gau jetzt durchzieht, in denen vor fünfzig Jahren Löhe und seine Freunde ihr Bestes getan und gegeben haben, die von treuen, frommen Pfarrern so viel Gutes empfingen. „Was wir getan haben, da ist weder Glück noch Stern“, sagt Luther einmal, „aber unsere Fehler mutzen sie uns auf.“ Dieweil diese Ungerechtigkeit überhand nimmt, welche in der Kirche nur Schatten sieht und mit Behagen schwarze Striche macht, wo etwas zu rügen ist, muß die Liebe in vielen erkalten. Irre geworden an ihrer Kirche, der Mutter der Vorfahren, der Erzieherin ihrer Kinder, der Trösterin an Kranken- und Sterbebetten, fachen sie statt der tragenden und vertragenden Kindesliebe, die geflissentlich ertötet wird, eine Glut an, deren Wohlmeinen zu bezweifeln ich ebensowenig Grund habe, als ich mich ihrer freuen kann. Denn „was Menschen machen, das macht sich nicht“. Sollen wir nun tatenlos das Feld räumen und dadurch beweisen, daß wir es längst nimmer inne hatten? Sollen wir uns in Klagen ergehen, die unsern Gegnern – daß ich sie so nennen muß! – wie Musik ins Ohr schallen?

 Es ist nicht lutherische Art, sondern hereingetragene Unart, über die Schäden wohlfeil zu jammern und über die bösen Zeiten zu zetern. „Es hat kein Jahrhundert ohne böse Zeiten gegeben“, sagt ein großer Theologe und jedes Jahrhundert hat die seinen für die bösesten gehalten. Gott hat uns nicht den Geist der Furcht gegeben, dieses Gespenstes mit hohlen Augen und bleichem Gesichte, als ob nun alles verloren wäre, sondern uns befohlen, zu lernen und zu bessern und die Herrlichkeit Gottes zu schauen, indem wir ihm trauen. Darum wollte ich auch gerne vor dieser Versammlung bei aller Anerkennung unserer Versäumnisse, unseres Gewohnheitschristentums, das in Formen und Formeln erstarkt und den Geist entweichen zu lassen droht – anderwärts freilich wird die Zeit der „Methode“ auch kommen und noch krasser töten – und bei willigem Lob alles dessen, was andere statt unser getan und gearbeitet haben, hier die Frage aufwerfen, um die es sich in der gegenwärtigen Lage der Dinge allein handelt: Warum bleiben wir bei unserer Kirche?


2.

 Um unserer Väter willen: so möchte ich zuerst sagen. Wenn Gott das Tun der Rechabiter um „ihrer unverbrüchlichen Treue willen in der auf sie vererbten väterlichen Regel“ für vorbildlich und wert hält, dem ungetreuen Gottesvolke

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Hermann von Bezzel: Warum bleiben wir bei unserer Kirche?. Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1906, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Warum_bleiben_wir_bei_unserer_Kirche.pdf/4&oldid=- (Version vom 10.9.2016)