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insoweit und insofern fest, als Christus in ihm Gestalt gewonnen und durch ihn sein Werk hat bauen lassen. Und so ist dies der dritte Grund. Lutheraner bleiben wir um Christi willen, der in unsere Kirche am reichlichsten, am zartesten und sichersten seine Schätze eingesenkt hat und noch in ihr erhält.

 Wir haben an keinem Guten Mangel. Da ist sein reines, festes Wort, in wohl armseliger Fassung und ohne äußere Schöne, noch unserem armen Erkenntnisvermögen angepaßt, aber stark genug, es an ihm wachsen zu lassen, und voll Hoheit in seiner Kraft. Freilich will der Herr dieses Wort recht geteilt und nicht willkürlich zerstückelt sehen. Es tut nicht gut, einzelne Worte aus dem Zusammenhange zu reißen und sie so zu Schlagwörtern zu erniedrigen, die nur so viel Geschichte haben, als der Augenblick ihnen gönnt. Wir haben das Wort, hinter dem, in dem Christus steht, den geschriebenen Christus, in die Armut des Buchstabens gelegt, aber weit über sie hinaus bedeutend und gebend. Dieses Wort ohne zeitgeschichtlichen Hintergrund fassen nennen wir noch lange nicht Treue, so gewiß wir gegen diejenigen sind, die es als einmal gesagtes und gewesenes ohne Bedeutsamkeit für jetzt erachten. Ist es doch ein lebendiges, alle Lebensverhältnisse umfassendes, wie es aus der Ewigkeit in die Zeit, diesen geringen Abglanz der Zeitlosigkeit, gekommen ist. Man scheint gegenwärtig dem Alten Testamente in gewissen Kreisen den Vorrang vor dem neutestamentlichen Gotteswort geben und die Weissagung vor der Erfüllung lieben zu wollen, statt daß man die Weissagung in der Erfüllung sucht und ehrt. Durch dieses Wort, das, im Alten Testament verhüllt und noch in Umrissen, im Neuen Bunde klar und offenbar zu uns spricht, nicht in Lehrsätzen noch in fehllosen Entscheidungen, sondern als gottgeborene Faßlichkeit der unfaßlichen Gottesgüte, wendet sich der Herr an unsere Seele.

 Neuerdings wird auf Eingebungen einer inneren Stimme geachtet, von der niemand weiß, von wannen sie kommt und wohin sie geht. Das subjektivistische und mehr künstlich erregte als durch Gottes Gnadensonne und Liebestun hervorgerufene Glaubensleben ist vielen das Höchste. Aber die inneren Stimmen und sonderlichen Offenbarungen haben etwas Bedenkliches an sich, was ihre Gläubigen selbst einzusehen scheinen, wenn sie die Unsicherheit durch Steigerung der Beteuerungen übertäuben wollen. „Ich bin gewiß, daß der Heilige Geist mich nötigte, heute über dies und jenes Wort

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Hermann von Bezzel: Warum bleiben wir bei unserer Kirche?. Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1906, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Warum_bleiben_wir_bei_unserer_Kirche.pdf/15&oldid=- (Version vom 10.9.2016)