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Finger, ja seine ganze Hand“ geben soll, übt, die stille, anspruchslose Güte der Pfarrfrau als Berechnung verdächtigen. Gott sei Dank für den unübersehbaren Segen, der seit dreihundertachtzig Jahren aus dem Pfarrhause über unsere Kirche gekommen ist, und unvergessen sei Luther, der „unser Amt zu einem andern Ding gemacht hat!“ „Ist dem Herrn Christus ein treuer Pfarrherr genugsam, so sollte er auch uns genugsam sein, die wir um ein Merkliches geringer sind als Christus!“

 Wir bleiben bei unserer Kirche um Luthers willen, auf den zu halten freilich jetzt unmodern ist, obgleich Wesley, der doch der modernsten Bewegung recht im Blute steckt, durch Luthers Vorrede zum Römerbrief gewonnen wurde. Wir halten an dem Bekenner von Worms: „nur kein gottloses Stillschweigen!“ Wir lieben den demütigen Lehrer: „In alle Gefahren und Versuchungen laß mich fallen, Herr mein Gott, nur nicht in Hochmut! Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, wir sind Bettler“. Der Beter von der Wartburg, dem drei Stücke den Theologen machen, Gebet, Nachsinnen und Versuchung in Amt und Leid, ist unser Vorbeter, der freilich nicht um Reisegeld betet, damit auch die Gattin ihn begleiten möge, und in den Stiefeln die Banknoten, in dem Brot am Frühstückstisch die Goldstücke findet, aber lehrt, wie man recht beten soll, daß „man ohne Wunder glaube“. Und so wenig wir gewillt sind, Deutschtum und Luthertum zu vermengen, weil Luthertum wie Christentum international sind, so möchten wir doch auch die echte feste, wetterharte deutsche Art in ihm ehren und Gott danken, der unserem Volke in Luther den rechten Bonifacius, den Mann guter Geschicke und treuer Wohltaten, geschenkt hat.


6.

 Daß wir Luther nicht zu einem Heiligen stempeln wollen, soll eigens betont werden. Die Nüchternheit unserer Kirche kennt nicht die Heiligen auf Goldgrund, wie Rom und die sektiererischen Vollkommenheitsbewegungen. Wir wissen auch seine Fehler, aber ihr offenes Bekenntnis und ihre ernste Bereuung machen uns den Mann um so teurer, der mit den Müden nicht in aufdringlicher Weise, sondern zur rechten Zeit und mit dem gesegneten Takte zu reden wußte. Wir begehren auch nicht seine Rückkehr, so wenig die Jünger im Sturme des Meeres vom jenseitigen Ufer her ihren Genossen zuwinkten, sondern wir halten an unserer Kirche um Luthers willen nur

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Hermann von Bezzel: Warum bleiben wir bei unserer Kirche?. Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1906, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Warum_bleiben_wir_bei_unserer_Kirche.pdf/14&oldid=- (Version vom 10.9.2016)