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ein Gärtlein mit lauter Küchenkräutern und etlichen bunten, grellen Zierpflanzen, der wird erwählt. Ob es größeren Undank gibt als diese Verkennung des Besten, nur um etwas Besonderes und Eigenes zu haben und möglichst ungeschichtlich das Neueste an Lied und Weise zu führen? Die Lieder regen auf, aber vertiefen nicht, sie entzünden, aber sie erwärmen nicht. Sie haben etwas Fremdes und Unbräuchliches, ihre Melodien sind dem Empfinden unseres Volkes zuwider. Wir wissen wohl, daß geliebte Choräle die Volksweise verwertet, ja zuweilen ganz angenommen haben. Aber die alte Volksweise hatte etwas Getragenes, Ernstes. Die neue englisch-amerikanische Meetingweise trägt das Ungeweihte und Ungereifte an sich. Der lutherische Choral dringt ein, diese Weisen drängen sich auf. Aufdringlich ist nicht eindringlich. Unser Lied ist allumfassend, das „Reichslied“ beutet etliche Gedanken aus. Aber es ist ein anderer Geist, in dem alles geschieht, der eines vorordnet, anderes verwirft und auf einen Vorgang alles, auf die höchsten zu wenig hält.


5.

 Was ist aber der Urquell und ewige Fels, aus dem das Lied erquillt und die gesunde Lehre auf das dürstende Feld sich ergießt? Luther hat uns die Bibel deutsch reden lassen, so daß der schlichte Mann sie lesen, erleben, ausgründen kann. Löhe hat einmal auch die Übersetzungsfehler „inspiriert“ genannt. Mit einigem Recht. Denn auch in seinen so verzeihlichen Irrungen hat der im Schreck der Sünde zum Born der Gnade geflüchtete Mann das Beste betont, was ihm durch Gottes Wort geboten war, und durch einen Irrtum mehr genützt als andere durch ihre hausbackene Korrektheit. Wir haben unsere Sprache, Gott sei Dank, noch verbibelt. Und wenn die neuen Propheten mit den modernen Bibelübersetzungen alles recht genau nehmen wollen, müssen sie uns alles aus dem Herzen reißen, was seit vierhundert Jahren die Bibel in ihrem Wortlaut und durch ihn uns geschenkt hat: die feierliche, reisige, prächtige Sprache, den Wohllaut und die Kindlichkeit, den raschen Fluß und die gemächliche Stetigkeit. Der heiligen zwölf Boten Zahl und die lieben Propheten all hören wir mit unsern Zungen die großen Taten Gottes rühmen. Ist diese unveraltete und nie überjährte Übersetzung auch nichts mehr wert? Ist es vielleicht erbaulicher, zu hören: „zu dem werde ich kommen und das Abendbrot mit ihm einnehmen“? Diese Unterschätzung der Lutherbibel hängt aber mit einem andern

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Hermann von Bezzel: Warum bleiben wir bei unserer Kirche?. Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1906, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Warum_bleiben_wir_bei_unserer_Kirche.pdf/12&oldid=- (Version vom 10.9.2016)