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Arzneien aus den Pflanzen, die der himmlische Vater gepflanzt hat (Matth. 15, 13) und sorgt für deren Zubereitung und Darreichung, sie spricht nicht mit wohlfeil frommem Bekenntnis! (Jak. 2, 16). „Gott berate auch“, ohne Hand ans Werk zu legen und persönlich erfindsam zu sein, sondern sie kommt und überzeugt sich von dem Jammer und „sieht, wie es geht“ und gießt in die Wunden das lindernde Öl und den stärkenden Wein und wird darüber nicht müde noch arm, denn sie kennt Quellen der Kraft und Schätze des Reichtums, weil sie von dem ist, der spricht: Ich bin der Herr, dein Arzt. So hat der, welcher dem Leid noch seine Zeit verordnet und die Erde, trotzdem sein heiliger Kreuzesweg über sie hingegangen ist, mit der Angst und Armut verbündet hat, der Liebe und einer der Ihren, dem Werk der Inneren Mission, ihre Pflicht zuerkannt. Wo Armut, da Hilfe, wo Not, da Trost, wo Leid, da Liebe.

 Diese Liebe ist nicht Humanität im engeren und darum modernen Sinne, wohl aber im besten. Die Geschichte der Kirche erweist das Gesetz von der Nähe der Extreme, deren eines durch das andere korrigiert und gestraft wird. Ehe der tatkräftige Pietismus die rechte Lehre zu wahrem Leben vertiefte und in der Kirche überdies lehrte, daß „ein Tropfen Liebe besser sei als ein ganzes Meer der Wissenschaft über alle Geheimnisse“ (Francke) und wiederum nachdem er, ein froher Frühling, zu herrlich, als daß er ganz wahr sein konnte, vergangen war, hat leicht das Wort der Klarheit und Bestimmtheit über das Wesen der Sünde und ihres Leides, über das Wesen des Heils und seines Trägers die Möglichkeit der Tat zurücktreten lassen. Wie ist doch auch zu Jesu Füßen Gefahr!

 Da trat, das Wesen und den Grund des Leids verkennend und die Wahrheit des Heils unterschätzend, aber obwohl er beides nicht verstand, mit Willigkeit und gutem Mute der Humanitarismus der Aufklärung auf den Plan. Dem Christentum ohne rechte Humanität, ohne Wärme für die Wirklichkeit und ohne Wirksamkeit für die Not trat eine Humanität ohne Christentum entgegen, wie eine Hilfe für die Not der Stunde, da sie die Tiefen nicht kannte noch verstand, Hilfe mit unzureichenden Mitteln, aber doch Hilfe. Ihr ist darum zu tun, daß dem Augenblick werde, was er begehrt und zu bedürfen scheint und die Linderung komme, die zwar nicht erquickt, aber beruhigt. Sie kann nicht auf Grundsätze sich erbauen, die ihr Wesen bedrücken und ihr Werk beengen müßten, sie giebt nicht, was sie ist, sondern was sie hat, froh darüber, daß sie nicht mehr geben muß. Die dunklen Hintergründe, aus denen Leid und Dürftigkeit, Hunger und Not sich ablösen, die das Auge beleidigen und die Stimmung trüben, kennt der Humanitarismus nicht. Sie zu bestimmen und zu beschwören mag anderen Kräften überlassen bleiben.