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Wie ganz anders steht vor uns Luther, den sein Vater hart hielt und seine Mutter wegen einer geringen Nuß bis aufs Blut stäupte, das arme Kind, wie steht es vor uns, das sein Schwager mit Mühe durch Schnee und Eis auf seinen Schultern zur Schule trug. „Gott“, sprach er, „vergelte es ihm, daß er mich pusillum (Kleinen) so freundlich annahm, da ein Schwager (so sagte er lächelnd) den andern trug.“ Wie hat er in der Schule den ganzen Ernst des Lernens verspüren und das Brot vor fremden Türen suchen müssen, ein armer „Partekenhengst“ wie er sich nennt, der um etlicher particulae Brot willen an den Häusern gar beweglich sang. „Ich konnte erschrecken, wenn mich mein Vater nur ansah; und als wir um Dreikönig herum auf den Dörfern sangen, kam wohl ein Bauersmann und rief: Buben, wollt ihr Würste? Da erschraken wir so, daß wir eilig entflohen.“ Es ist das kümmerliche, ärmliche, enge Leben eines Bauernknaben, der unter gar dürftigen Verhältnissen aufwachsen sollte, der aber in dieser ehernen Zucht der Notwendigkeit, die geheiligt ist durch das Vorbild verzichtender Eltern, an Leib und Seele erstarkte. Aus diesem Holz hat Gott der Herr je und je seine großen Persönlichkeiten geschnitzt. Aus diesen Kindern, die da nein sagen lernten und ja sagen mußten, die sich den Wunsch erstickten, ehe er kam, und wenn er kam, ihn willig unterdrückten, sind die Persönlichkeiten herangewachsen, mit denen der Herr seine Kämpfe streitet und seine Kriege führt. Wenn einmal – lassen Sie mich das einschalten – unserer Jugend der Ernst der Entbehrung erleichtert und die Pflicht der Entsagung gelockert wird, wird ein Geschlecht heranwachsen, schwammig, willensarm, nervenschwach, an seine Gewöhnung und Gewöhnlichkeit

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Hermann von Bezzel: Luther und Augustin. Verlag der Buchhandlung der Diakonissenanstalt, Neuendettelsau 1912, Seite 9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Luther_und_Augustin.pdf/9&oldid=- (Version vom 9.10.2016)