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I.

 Was ist nun der Grund der Inneren Mission? So gewiß die Humanität in dem Begriffe des Menschtums und Menschseins urständet, der den Träger des Menschenwesens der Mitgenossen zum Zwecke der Wiederherstellung und Herausstellung des Menschenmächtigen und Menschenwürdigen gedenken heißt und sich daran genügen läßt, nil humani a se alienum putare, im Menschlichen und dem Menschen Möglichen das Menschenmäßige zu erkennen, weil es eben den Menschen das Maß aller Dinge sein läßt, so gewiß liegt in dieser scheinbar entschränkten Bildung die bewußte Beschränktheit. Denn das Menschtum wird eben nur denen zuerkannt, die man als Projektion seiner selbst anerkennt und in denen man viele verwandte Züge und Zeichen entdeckt. Der Nichtgrieche bleibt Barbar dem Griechen wie dieser dem Skythen – ich erinnere an den Römer Ovid in Tomi, der sich als Barbaren erkannte, weil niemand ihm und er keinem verständlich war – und der Sklave, als organon empsychon, als beseeltes Werkzeug hört eben auf, Mensch zu sein, sobald er in Sklaverei versinkt, und tritt nie über die Schwelle des Menschheitstempels, so lange er in ihr schmachtet. Die Humanität hat nicht den Tiefblick in den Grund der Dinge, aber auch nicht den Ausblick in die Verklärung ihrer gemeinen Deutlichkeit. Sie bemißt nach einem von ihr gebildeten Menschheitsideale die Erscheinungen nach ihrer Außenseite und ihrer Selbstpräsentierung. Nur das Deforme, das Häßliche erregt und bewegt sie, nicht das Sündige und Verwerfliche, und nur die augenblickliche Hebung der Not erstrebt sie, nicht deren Heilung aus und an tiefstem Grunde. Man wird nicht unrecht tun, wenn man in den humanitären Bestrebungen unserer Tage, denen auch das christliche Urteil noch Wesens- und Gottverwandtes zuerkennen möchte, mehr das eifervolle Bestreben wahrnimmt, das die Menschheitskultur verletzende und sie gefährdende Elend nicht um seinet-, sondern eben um ihretwillen zu entfernen. Der regsamste Altruismus ist doch zugleich Egoismus. Und die Humanität wirkt vom Sozialen auf die Sozietät, auf den Einzelnen nicht als auf ihr Glied, sondern als auf eine Nummer in dem Ganzen. Das persönliche Moment des Ich zum Ich – dieses „siehe doch, wie es uns geht“ – entfällt gegenüber den Abfindungstaten und Vereinsgründungen, in denen der einzelne, seiner Hilfepflicht entledigt, untergeht, um nicht dem Einzelnen,

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Grund, Kraft und Ziel der Inneren Mission. Buchhandlung der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, Neuendettelsau ca. 1914, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Grund,_Kraft_und_Ziel_der_Inneren_Mission.pdf/8&oldid=- (Version vom 24.10.2016)