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andern Seite die Zumutungen, die man an eine arme Seele stellt in Lektüre, Bildern, in allen Fermenten, die unserer armen Seele zugemutet werden; auf der einen Seite diese krankhafte Furcht vor dem Tode, diese heillose Sterbensangst, auf der andern Seite Verfeinerung, Raffinierung des Sterbensgedankens. Unsere Zeit hat alles, nur keine Knochen, und je stärker und hochtönender und höher anschwellend diese Worte sind, desto dürftiger ist der Inhalt, der hinter ihnen steht. Da haben nun gegenüber einem blasierten, geistreichelnden, mit sich selber in krankhaftem Mitleid zerrinnenden Geschlecht diese Schwestern die Kraft der stählenden Arbeit, die tragende Gewalt einer hochgespannten Gemeinschaftsidee, den Ernst einer richtenden, sichtenden, klärenden Seelsorge, die große Aufgabe, an der Welteroberung mitzuarbeiten. Und daß man für einen solchen Dienst so betteln muß, gehört wohl zu den nicht am wenigsten betrüblichen Zeichen der Zeit. Weil an uns mittelbare Seelsorge getrieben wird gerade durch die Institutionen, in denen wir stehen, durch die Arbeit, an welcher wir stehen, durch die Hoffnung, der wir unterstehen, darum – gerade deswegen – ist auch alles Uebermaß zu meiden. – Ich darf darüber noch ein kurzes Wort sagen: Man soll sich durch die Diakonissenhäuser für entschiedenes Christentum nie in der gesunden lutherischen Weltbehauptung stören lassen. Es ist nicht an dem, daß in der prätentiösen Weltflucht wirklich schon der weltüberwindende Sieg läge; sondern der weltüberwindende Sieg liegt in der Selbstverleugnung des Christen. Wer die Welt in sich überwindet, an dem hat die andere Welt keine Macht, und wer innerlich sich mit der Welt auseinandersetzt, dem hat die äußere keine Bedeutung mehr als Lockobjekt, sondern nur Bedeutung als zu überwindendes Ganzes.

 Gott der Herr helfe, daß, bedroht von der Rede, es sei zu viel des Geistlichen, und eingeschüchtert von der weit schwereren Rede, es sei zu wenig des Geistlichen, unsere Diakonissenhäuser den Mittelweg gehen, der nicht hervorragt und nicht glänzt, aber treu ist. Gott helfe, daß wir uns weder nach der einen noch nach der andern Seite, um den Ruhm der Konsequenz zu wahren, in Extreme drängen lassen. Konsequente Leute haben den Mut in kleinen Dingen immer inkonsequent zu sein, weil sie die Hauptlinie im Auge und ihre Aufgabe an ihr im Herzen haben. Aber wie üben diejenigen, an denen solche Seelsorge geübt worden ist, ihrerseits und ihresteils die Seelsorge aus? Wie weit darf eine Diakonisse Seelsorgerin sein? Wie weit muß sie es sein? Das wird die Frage sein, die uns in den letzten Stunden noch beschäftigt, in denen ich eine gesamte Berufsauffassung noch zu geben suche.