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ist. Wie leicht wird unser ganzes Leben, wenn wir zwei oder drei, die desselben Lebensgrundes sich erfreuen, kennen. Wie leicht wird unser ganzes Leben, wenn wir mit rechtem Ernst da und dort einen Begleiter auf dem Weg suchen und in Freuden finden! Die Lebensgemeinschaft, die ein Diakonissenhaus hat, daß wenn ein Glied leidet, alle leiden, und wenn ein Glied herrlich gehalten wird, alle sich freuen, die Lebensgemeinschaft, die aus der Mitteilung der Arbeit und aus der Teilhaberschaft an den Interessen sich ergibt, hebt über all das Schwere heraus. Man weiß sich eins, geeint, geborgen und gerettet.

 Ich schließe. Die mittelbare Seelsorge, die wir üben, ist eine gründliche, eine geduldige, eine ernste und gestrenge und mündet in der Arbeits-, Interessen- und Lebensgemeinschaft. Und alles was wir Seelsorge mittelbarer Art heißen, konzentriert sich, faßt sich zusammen und befaßt sich in dem Mutterhausgedanken, als welcher ein größerer kaum gedacht, nie erfahren werden könnte. Solange Diakonie besteht, wird im einzelnen da und dort eine Saite anders gestimmt werden können und müssen, aber der Klang der Harfe muß und wird der gleiche sein[.]

 Von dieser mittelbaren Seelsorge sage ich nun: Jetzt wird man begreifen, wie richtig der selige Pfarrer Löhe spricht, Diakonissen seien Helferinnen, denen geholfen werden müsse. Haben die 35 Schwestern schon darüber einmal ernstlich nachgedacht und herzlich dafür gedankt, wieviel sie vor ihren Geschlechts- und Altersgenossinnen voraus haben? Ist es schon einmal durch ihre Seele hindurchgezogen, welch ein Glück es ist, auch von Menschen nicht unbeobachtet gelassen und von der Gottestreue in Menschentreue erfaßt zu werden? Würde in unserer Zeit, die so empfindsam und schmachtend mit der Seele kokettieren lehrt, in einer Zeit, die das innere Leben die Seele à la Lhotzky und Johannes Müller in fast krankhafter Weise pflegt, welche von dem Individualismus redet, der ganz vergißt, daß wir zu einer Gemeinschaft berufen sind, würde in dieser Zeit der Wert der einzelnen Seele für die Ewigkeit und der Ewigkeit für die einzelne Seele mehr betont werden, so könnten unsere Diakonissenhäuser die Mauern gar nicht weit genug ausdehnen. Wie arm ist doch unser Geschlecht geworden! Auf der einen Seite – bei Goethe sieht man es am allerunangenehmsten – eine krankhafte und ungesunde Liebkoserei mit der Seele, eine Sektion und Sezierung aller Empfindungen und Affekte, ein Hüten des kranken Herzens, als ob die Krankheit eigentlich das Behütbare und Behütliche wäre, eine solche Abschließung der Seele von allem, was kernhaft macht, und was im Sturm schüttelt und im Sturm erhält, und auf der