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Handbewegung den Vorhang von tiefen nächtigen Schatten zurückzog, um dann das Wort zu sprechen: aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen und der kleine Augenblick war lang genug, um alle Denkenden erkennen zu lehren: verflucht ist der Mann, der Fleisch für seinen Arm hält und mit seinem Herzen vom Herrn weicht.

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 Dann sind die Jahre gekommen, die in vieler Leben hereinragen als Jahre der Gütigkeit, Leutseligkeit und Freundlichkeit. Ich habe diese Jahre je länger je mehr in ihrer Bedeutung und in Sorgfältigkeit schätzen gelernt und ich mache den Anspruch darauf, auch das letzte sagen zu können, nachdem ich so viel Kraft habe, die Sorglichkeit auch der Arbeitszeit zu erkennen und zu bekennen, die in diesen Tagen abschließt. Es ist der selige Rektor Meyer für viele ein Tröster geworden, wie ihn die weibliche Seele bedarf und braucht. Er ist ja, ich habe das oft gesagt und bleibe dabei, für die weibliche Seele in ihrer Abhängigkeit und in ihrer Trostbedürftigkeit der geborene Seelsorger gewesen. Und damit er nicht auf dem seltenen Wohlgefallen seiner Gemeinde ausruhen durfte, damit er nicht in der einzigartigen Beliebtheit seine Lebenskraft verzehrte, hat ihm Gott das schwere Kreuz auferlegt, und unter dem Kreuz ist er vielen, und zwar den besten, ein Vorbild der Geduld im Leiden geworden. Es ziemt mir nicht, meine letzten Gedanken hier auszusprechen, weder Art noch Zeit sind dazu geeignet, aber ich habe jetzt 18 Jahre lang Gelegenheit gehabt, mit offenen Augen zu prüfen, wozu Gott der Herr ihn gesetzt hat. Ich glaube, es waren Jahre der Kraftsammlung und ich weiß nicht, was größer ist, Kraftsammlung oder Kraftentfaltung. Dem natürlichen Menschen erscheint dieses größer, dem Christen jenes. Es waren die Jahre der Kraftsammlung. Neuendettelsau, das unter Löhe ein Kampfplatz geworden war, wurde zu einer lieblichen Aue, auf der man sich pflegen ließ mit dem Wort der Wahrheit, sich rüsten ließ zum letzten Kampf. Durch alles was Rektor Meyer getan, geredet, geschrieben und bezeugt hat, ging ein tiefer Ton des Friedens, aus dem innersten Verlangen nach Frieden geboren. Sein Kirchenideal ist das meine nicht gewesen, und sein Amtsbegriff ist der meine nie geworden, so wenig wie der Amtsbegriff Löhes. Aber das sind wahrhaftig im Reiche Gottes Nebendinge. Sein Heimatsideal ist das gleiche geblieben und alle, die hier gearbeitet haben, sind in diesem Ideal mit ihm eins geworden. Ich habe ja erst in diesen letzten Jahren seiner hiesigen Amtswirksamkeit mit Neuendettelsau, das mir mehr als fremd war, mich befaßt. Ich habe wohl manchem Gedanken nachgesonnen, daß ich aber eine