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Zeiten unseres Lebens, ohne die beiden Fragen woher? und wohin? beantwortet zu haben, erleben: das sind eben dann verlorne Zeiten. Und statt daß wir das ganze Kapital auf diese große Aufgabe hinwenden, zertrümmern wir es durch allerlei Gleichgültigkeit und Untreue und Leerheit des Wesens; und je größer und ferner die Aufgabe wird, desto ärmer wird die Kraft sie zu lösen. Aber noch einmal sei es gesagt: auch die schreckhafte Gewißheit ist besser als ein Traum, und wenn man einer Tatsache gegenübersteht, ist es besser, als wenn man eine Tatsache mutmaßt. Daß wir von Gott berufen sind, das glauben wir; und daß wir zu Gott hinberufen sind, das erkennen wir; und zwischen Glauben und Erkennen muß nun das Leben sich bewegen.

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 Aber liegt denn in diesen beiden Fragen: Wohin und woher? das Ganze, was wir brauchen, ist denn in diesen beiden so großen Antworten: „Ich glaube, daß mich Gott geschaffen“ alles enthalten, was uns not tut? Ich meine, wir sollten mehr darauf hinsehen, welch ein großer Trost in dem durch das heilige Gotteswort gehenden Zuspruch liegt: Ihr seid berufen. Also hat jemand, ehe wir’s ahnten, der treue Gott, ehe wir Ihn kannten, uns alle gerufen; Er hat, da niemand um uns sich annahm und niemand unseres Lebens Entwicklung kannte, eine zweifache Tätigkeit, wie der Römerbrief aufzeigt, an uns geübt. Er hat uns vorher erkannt und hat uns vorher bestimmt. Er hat uns vorher erkannt. Wie wunderbar, daß Gott einen Menschen mit dem gesamten Einschlag der Sünde, mit der Gesamtwirkung seiner Missetaten, mit seinen Unarten und Verkümmerungen und Verirrungen ganz genau vorher erkennt und schafft ihn doch; wie rätselhaft, daß Gott der Herr mein ganzes armes Leben mit all dem, was zu Gott und von Gott gewollt, bei all den Veräderungen, Verästelungen und Verzweigungen durch und durch überschüttet hat und dann, obwohl Er sich selber eine große, schwere und leicht zurückschreckende Aufgabe gestellt, uns ins Dasein gerufen hat. Er spricht von vorne herein: „Du hast mir Mühe gemacht mit deinen Sünden“, und dennoch, nachdem Er einmal den Willen gefaßt mich zu schaffen, läßt Er nicht von ihm, sondern stellt mein Leben in die Erscheinung. Wie geheimnisvoll: Er, der Gott, der ganz genau weiß, daß mein Leben eine Menge von Abirrungen darstellt, leitet es dennoch in die Wege. Er hat auch einen Judas, den Verräter, von dem selbst der Heiland sagt: Es wäre besser, er wäre nie geboren, geboren werden lassen; und obwohl Er uns vorher erkannte, mit all dem, was wir sind und nicht sein sollen, nicht sind und sein sollten, hat Er uns auch vorher ein Ziel bestimmt. Und diese beiden Momente beschließen die Berufung. Er hat, nachdem