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9. Stunde.
Lied 151, 1–3. Psalm 19, 8–15.
  Gebet: O Herr Jesu Christe, verleihe allen denen, die nach Dir Verlangen tragen, daß sie, wenn alles sie verläßt, von Dir unverlassen bleiben und in Deinem Wort und Willen, was ihr Leben erquickt und erfreut, fest und stetig finden mögen, damit Deine Gemeinde auf dem einen und ewigen Grund erbaut Dir zueilen und einst ewig Lob und Dank opfern möge. Amen.
 

 Die beiden letzten Stunden sollen, wenn ich so sagen darf, Rückblick und Ausblick in sich schließen. Dadurch, daß Neuendettelsau eigentlich immer schwere Zeit gehabt hat und die Momente der lichten Zeit verborgene Schwere immer in sich schlossen, hat es eine Geschichte gewonnen, die zu übertragen auf andere und anderes undenkbar wäre. Ich darf vielleicht mit einem etwas abgebrauchten Wort sagen: andere Stätten haben ihre Diakonissenhäuser, Neuendettelsau ist ein Diakonissenhaus. Und weil von den frühesten Tagen an hier die Arbeit im Zeichen des Kampfes stand und alles, was sie brauchte, Stück um Stück von ihrem Herrn erbat, darum sind die einzelnen Tage und Jahre fest ins Gedächtnis gegraben und der Herr hat Gnade zu dieser langsam heranwachsenden, mühsam sich empor haltenden, einsamen Geschichte gegeben, hat das Unwesentliche nie das Wesentliche, die Kleinigkeiten nie die Hauptsache und die Formen nie zum Abgott werden lassen. Denn das ist im Leben der Geschichte so: einzelne ergreifen die Form, weil sie den in ihr verborgenen Wert wollen, andere ergreifen die Form, um doch etwas ergriffen zu haben, und wieder andere lassen sich von der Form ergreifen, damit sie doch wenigstens den Schein irgend einer Sache bewahren. Neuendettelsau hat ja wohl viele Formen gehabt, und es mag Zeiten gegeben haben, in denen man zu viel in sie hinein geheimnißt hat. Es liegt der ästhetischen Natur des Weibes nahe, im Aeußeren immer wieder das Symbol von Besonderheiten und Innerlichkeiten