Seite:Hermann von Bezzel - Die Pflege der Kindesseele.pdf/14

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

unaussprechliches Weh ist, wenn auch die liebste Sonne verbleicht, so ist es für Vater und Mutter ein bitterschwerer Tag, wo sie erstmals die Lüge bei ihrem Kinde vernehmen. Und doch möchte ich rufen: Macht ihnen dann die Beichte leicht! – Ach wenn eure Kinder, die euch Befohlenen, irgendwie in Sünde geraten, macht ihnen das Geständnis leicht. So beginnt im neuen Bund jedes Gebot: „Wir sollen Gott fürchten und lieben“. Aus der Liebe zu euch sollen die Kinder sagen, was sie wider die Liebe zu euch getan haben und aus anhänglicher Treue bekennen, wie sie euch verletzten. Wenn sie es gestehen, laßt sie eure Tränen sehen, die als bitteres, herbes Weh ihnen auf die Seele brennen sollen. Laßt sie eure Leiden und euren Kummer wohl wahrnehmen. Man muß ihnen weisen und erklären, wie „sauer du deiner Mutter geworden bist“.

.

 Wenn die Kinder ehrgeizig, hochmütig und streberisch werden? Wenn sie Gefallen haben am Schaden, wie der Herr einmal sagt: „Ihr werdet weinen und heulen, aber die Welt wird sich freuen“. Ach dann reißt dieses Verlangen, eine Rolle zu spielen und diese Freude am Unterliegen des Nächsten, dieses elende Aufbauen aus Resten der Hütte des Nachbars mit allem Ernst aus der Seele und habt den Mut zu strafen, denn gegenüber einer Theorie, die da lehrt, daß man nicht strafen dürfe, rufen wir hinein in diese Menge: „Wer seinen Sohn lieb hat, der züchtigt ihn“. – Der Hebräer-Brief stellt der zeitlichen und oft unklaren Züchtigung der leiblichen Väter die große Züchtigung des Vaters der Geister als Korrektio gegenüber. So wie bei uns altgewordenen Kindern der Vater der Geister eingreift und uns das Liebste nimmt, das Größte versehrt, die Ehre zerpflückt, das Ansehen raubt und den guten Namen, das Beste, was ein Mann haben kann, manchmal verwerfen läßt, so wie der König der Geister da klein werden heißt, wo einer groß zu sein meinte und da arm werden läßt, wo er seines Reichtums Fülle vermutete und sich dessen tröstete und vermaß, so soll ein rechter Vater, eine rechte Mutter, den Mut haben zu strafen, zu strafen in heiligem Affekt, nicht in jener falschen Weise, daß man etliche Fehler aufsummiert, um dann nach Wochen Generalmusterung zu halten und Abrechnung zu machen, nicht in jener unfeinen und kläglichen Weise, mit der man dreimal etwas übersieht, um ein viertes Mal alle vier Fälle zusammen zu behandeln, sondern im heiligen Affekt, daß der ewigte Gotteswille mit Füßen getreten und treuester Ernst vernachlässigt und Mutterliebe vergessen worden ist, strafe man mäßig. Straft, wo es geht, mit dem Blick und Wort. Das Kind muß, wenn die Hand der Mutter sich ihm versagt und der Gutenachtgruß ihm entzogen wird, merken, daß zwischen ihm und der Mutter eine Scheidewand aufgerichtet ist, die nur durch Ernst der Buße und durch Gnade und Freundlichkeit der Mutter hinaus getan und niedergelegt werden kann und in dem scharfen, ernsten Blick, den der Vater dem Kinde zuwirft, in dem seine werbende und eine strafende Gewalt zumal liegt, soll das Kind merken, daß es die Liebe des Vaters verwirkte. Dann nehmt dass rechte Wort, nicht dass Wort, das die Wut geboren hat und falsche Reue dann vergebens zurückzunehmen versucht, nicht

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Die Pflege der Kindesseele. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1918, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Die_Pflege_der_Kindesseele.pdf/14&oldid=- (Version vom 8.9.2016)